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Friedens-Abschluß und Beilegung des Streits der
Facultäten.

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In Streitigkeiten, welche blos die reine, aber praktische Vernunft angehen, hat die philosophische Facultät ohne Widerrede das Vorrecht, 5 den Vortrag zu thun und, was das Formale betrifft, den Proceß zu instruiren; was aber das Materiale anlangt, so ist die theologische im Besiz den Lehnstuhl, der den Vorrang bezeichnet, einzunehmen, nicht weil fie etwa in Sachen der Vernunft auf mehr Einsicht Anspruch machen kann als die übrigen, sondern weil es die wichtigste menschliche Angele10 genheit betrifft, und führt daher den Titel der obersten Facultät (doch nur als prima inter pares). Sie spricht aber nicht nach Geseßen der reinen und a priori erkennbaren Vernunftreligion (denn da würde sie sich erniedrigen und auf die philosophische Bank herabseßen), sondern nach statutarischen, in einem Buche, vorzugsweise Bibel genannt, enthal15 tenen Glaubensvorschriften, d. i. in einem Coder der Offenbarung eines vor viel hundert Jahren geschlossenen alten und neuen Bundes der Menschen mit Gott, dessen Authenticität als eines Geschichtsglaubens (nicht eben des moralischen; denn der würde auch aus der Philosophie gezogen werden können) doch mehr von der Wirkung, welche die Lesung der Bibel 20 auf das Herz der Menschen thun mag, als von mit kritischer Prüfung der darin enthaltenen Lehren und Erzählungen aufgestellten Beweisen erwartet werden darf, dessen Auslegung auch nicht der natürlichen Vernunft der Laien, sondern nur der Scharfsinnigkeit der Schriftgelehrten überlassen wird.*)

25 * Im römisch-katholischen System des Kirchenglaubens ist diesen Punkt (das Bibellesen) betreffend mehr Consequenz als im protestantischen. Der reformirte Prediger La Coste sagt zu seinen Glaubensgenossen: „Schöpft das göttliche Wort aus der Quelle (der Bibel) selbst, wo ihr es dann lauter und unverfälscht einnehmen könnt; aber ihr müßt ja nichts anders in der Bibel finden, als was wir 30 darin finden. Nun, lieben Freunde, sagt uns lieber, was ihr in der Bibel findet, damit wir nicht unnöthiger Weise darin selbst suchen und am Ende, was wir darin gefunden zu haben vermeinten, von euch für unrichtige Auslegung derselben erklärt werde." Auch spricht die katholische Kirche in dem Sahe: „Außer der Kirche (der katholischen) ist kein Heil“, consequenter als die protestantische, wenn 35 diese sagt: daß man auch als Katholik selig werden könne. Denn wenn das ist (sagt Bossuet), so wählt man ja am sichersten, sich zur ersteren zu schlagen. Denn noch seliger als selig kann doch kein Mensch zu werden verlangen.

Der biblische Glaube ist ein messianischer Geschichtsglaube, dem ein Buch des Bundes Gottes mit Abraham zum Grunde liegt, und be= steht aus einem mosaisch-messianischen und einem evangelisch-messianischen Kirchenglauben, der den Ursprung und die Schicksale des Volks Gottes so vollständig erzählt, daß er, von dem, was in der Weltgeschichte 5 überhaupt das oberste ist, und wobei kein Mensch zugegen war, nämlich dem Weltanfang (in der Genesis), anhebend, sie bis zum Ende aller Dinge (in der Apokalypsis) verfolgt, — welches freilich von keinem Andern, als einem göttlich-inspirirten Verfasser erwartet werden darf; wobei sich doch eine bedenkliche Zahlen-Kabbala in Ansehung der wichtigsten Epochen 10 der heiligen Chronologie darbietet, welche den Glauben an die Authen= ticität dieser biblischen Geschichtserzählung etwas schwächen dürfte.*)

*) 70 apokalyptische Monate (deren es in diesem Cyklus 4 giebt), jeden zu 291/2 Jahren, geben 2065 Jahr. Davon jedes 49 ste Jahr, als das große Ruhejahr, (deren in diesem Zeitlaufe 42 find) abgezogen: bleiben gerade 2023, als das 15 Jahr, da Abraham aus dem Lande Kanaan, das ihm Gott geschenkt hatte, nach Ägypten ging. Von da an bis zur Einnahme jenes Landes durch die Kinder Israel 70 apokalyptische Wochen (= 490 Jahr) und so 4mal solcher Jahrwochen zusammengezählt (1960) und mit 2023 addirt, geben nach P. Petau's Rechnung das Jahr der Geburt Christi (= 3983) so genau, daß auch nicht ein 20 Jahr daran fehlt. Siebzig Jahr hernach die Zerstörung Jerusalems (auch eine

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mystische Epoche). Aber Bengel, in ordine temporum pag. 9. it. p. 218 seqq., bringt 3939 als die Zahl der Geburt Christi heraus? Aber das ändert nichts an der Heiligkeit des Numerus septenarius. Denn die Zahl der Jahre vom Rufe Gottes an Abraham bis zur Geburt Christi ist 1960, welches 4 apokalyptische 25 Perioden austrägt, jeden zu 490, oder auch 40 apok. Perioden, jeden zu 7mal 7 49 Jahr. Zieht man nun von jedem neunundvierzigsten das große Ruhejahr und von jedem größten Ruhejahr, welches das 490 ste ist, eines ab (zufammen 44), so bleibt gerade 3939. Also sind die Jahrzahlen 3983 und 3939, als das verschieden angegebene Jahr der Geburt Christi, nur darin unterschieden: 30 daß die letztere entspringt, wenn in der Zeit der ersteren das, was zur Zeit der 4 großen Epochen gehört, um die Zahl der Ruhejahre vermindert wird. Nach Bengeln würde die Tafel der heil. Geschichte so aussehen:

2023: Verheißung an Abraham, das Land Kanaan zu besitzen;

2502: Besitzerlangung desselben;

2981: Einweihung des ersten Tempels;

35

3460: Gegebener Befehl zur Erbauung des zweiten Tempels;

3939: Geburt Christi.

Auch das Jahr der Sündfluth läßt sich so a priori ausrechnen. Nämlich 4 Epochen

zu 490 ( 70X7) Jahr machen 1960. Davon jedes 7te (280) abgezogen, 40

Ein Gesetzbuch des nicht aus der menschlichen Vernunft gezogenen, aber doch mit ihr, als moralisch-praktischer Vernunft, dem Endzwecke nach vollkommen einstimmigen statutarischen (mithin aus einer Offenba= rung hervorgehenden) göttlichen Willens, die Bibel, würde nun das kråf5 tigste Organ der Leitung des Menschen und des Bürgers zum zeitlichen und ewigen Wohl sein, wenn sie nur als Gottes Wort beglaubigt und ihre Authenticität documentirt werden könnte. Diesem Umstande aber stehen viele Schwierigkeiten entgegen.

Denn wenn Gott zum Menschen wirklich spräche, so kann dieser doch 10 niemals wissen, daß es Gott sei, der zu ihm spricht. Es ist schlechterdings unmöglich, daß der Mensch durch seine Sinne den Unendlichen faffen, ihn von Sinnenwesen unterscheiden und ihn woran kennen solle.

Daß es aber nicht Gott sein könne, dessen Stimme er zu hören glaubt, davon kann er sich wohl in einigen Fällen überzeugen; denn wenn das, 15 was ihm durch sie geboten wird, dem moralischen Gefeß zuwider ist, so mag die Erscheinung ihm noch so majestätisch und die ganze Natur überschreitend dünken: er muß sie doch für Täuschung halten.*)

Die Beglaubigung der Bibel nun, als eines in Lehre und Beispiel zur Norm dienenden evangelisch-messianischen Glaubens, kann nicht aus 20 der Gottesgelahrtheit ihrer Verfasser (denn der war immer ein dem möglichen Irrthum ausgeseßter Mensch), sondern muß aus der Wirkung ihres Inhalts auf die Moralität des Volks von Lehrern aus diesem Volk selbst, als Idioten (im Wissenschaftlichen), an sich, mithin als aus dem reinen Quell der allgemeinen, jedem gemeinen Menschen beiwohnenden Vernunft25 religion geschöpft betrachtet werden, die eben durch diese Einfalt auf die

bleiben 1680. Von diesen 1680 jedes darin enthaltene 70 ste Jahr abgezogen (= 24), bleiben 1656, als das Jahr der Sündfluth. Auch von dieser bis zum R. G. an Abraham sind 366 volle Jahre, davon eines ein Schaltjahr ist.

Was soll man nun hiezu sagen? Haben die heilige Zahlen etwa den Welt30 lauf bestimmt? Frank's Cyclus iobilaeus dreht sich ebenfalls um diesen Mittelpunkt der mystischen Chronologie herum.

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*) Zum Beispiel kann die Mythe von dem Opfer dienen, das Abraham auf göttlichen Befehl durch Abschlachtung und Verbrennung seines einzigen Sohnes — (das arme Kind trug unwissend noch das Holz hinzu) bringen wollte. Abra35 ham hätte auf diese vermeinte göttliche Stimme antworten müssen: „Daß ich meinen guten Sohn nicht tödten solle, ist ganz gewiß; daß aber du, der du mir erscheinst, Gott sei, davon bin ich nicht gewiß und kann es auch nicht werden“, wenn sie auch vom (sichtbaren) Himmel herabschallte.

Herzen desselben den ausgebreitetsten und kräftigsten Einfluß haben mußte. Die Bibel war das Vehikel derselben vermittelst gewisser statutarischer Vorschriften, welche der Ausübung der Religion in der bürgerlichen Gesellschaft eine Form als einer Regierung gab, und die Authenticität dieses Gesetzbuchs als eines göttlichen (des Inbegriffs aller unserer 5 Pflichten als göttlicher Gebote) beglaubigt also und documentirt sich selbst, was den Geist desselben (das Moralische) betrifft; was aber den Buchstaben (das Statutarische) desselben anlangt, so bedürfen die Saßungen in diesem Buche keiner Beglaubigung, weil sie nicht zum Wesentlichen (principale), sondern nur zum Beigesellten (accessorium) desselben ge= 10 hören. Den Ursprung aber dieses Buchs auf Inspiration seiner Verfasser (deus ex machina) zu gründen, um auch die unwesentliche Statute desselben zu heiligen, muß eher das Zutrauen zu seinem moralischen Werth schwächen, als es stärken.

Die Beurkundung einer solchen Schrift, als einer göttlichen, kaun 15 von keiner Geschichtserzählung, sondern nur von der erprobten Kraft derselben, Religion in menschlichen Herzen zu gründen und, wenn sie durch mancherlei (alte oder neue) Saßungen verunartet wäre, sie durch ihre Einfalt selbst wieder in ihre Reinigkeit herzustellen, abgeleitet werden, welches Werk darum nicht aufhört, Wirkung der Natur und Erfolg der 20 fortschreitenden moralischen Cultur in dem allgemeinen Gange der Vorsehung zu sein, und als eine solche erklärt zu werden bedarf, damit die Eristenz dieses Buchs nicht ungläubisch dem bloßen Zufall, oder abergläubisch einem Wunder zugeschrieben werde, und die Vernunft in beiden Fällen auf den Strand gerathe.

Der Schluß hieraus ist nun dieser:

25

Die Bibel enthält in sich selbst einen in praktischer Absicht hinreichenden Beglaubigungsgrund ihrer (moralischen) Göttlichkeit durch den Einfluß, den sie als Text einer systematischen Glaubenslehre von jeher sowohl in katechetischem als homiletischem Vortrage auf das Herz der Men- 30 schen ausgeübt hat, um sie als Organ nicht allein der allgemeinen und inneren Vernunftreligion, sondern auch als Vermächtniß (neues Testa= ment) einer statutarischen, auf unabsehliche Zeiten zum Leitfaden dienenden Glaubenslehre aufzubehalten: es mag ihr auch in theoretischer Rücksicht für Gelehrte, die ihren Ursprung theoretisch und historisch nachsuchen, 35 und für die kritische Behandlung ihrer Geschichte an Beweisthümern viel oder wenig abgehen. - Die Göttlichkeit ihres moralischen Inhalts ent

schädigt die Vernunft hinreichend wegen der Menschlichkeit der Geschichtserzählung, die, gleich einem alten Pergamente hin und wieder unleserlich, durch Accommodationen und Conjecturen im Zusammenhange mit dem Ganzen muß verständlich gemacht werden, und berechtigt dabei doch zu 5 dem Saz: daß die Bibel, gleich als ob sie eine göttliche Offenbarung wäre, aufbewahrt, moralisch benußt und der Religion als ihr Leitmittel untergelegt zu werden verdiene.

Die Kedheit der Kraftgenies, welche diesem Leitbande des Kirchenglaubens sich jetzt schon entwachsen zu sein wähnen, fie mögen nun als 10 Theophilanthropen in öffentlichen dazu errichteten Kirchen, oder als Mystiker bei der Lampe innerer Offenbarungen schwärmen, würde die Regierung bald ihre Nachsicht bedauren machen, jenes große Stiftungsund Leitungsmittel der bürgerlichen Ordnung und Ruhe vernachlässigt und leichtsinnigen Händen überlassen zu haben. — Auch ist nicht zu er15 warten, daß, wenn die Bibel, die wir haben, außer Credit kommen sollte, eine andere an ihrer Stelle emporkommen würde; denn öffentliche Wunder machen sich nicht zum zweitenmale in derselben Sache: weil das Fehlschlagen des vorigen in Absicht auf die Dauer dem folgenden allen Glauben benimmt; wiewohl doch auch andererseits auf das Geschrei der 20 Alarmisten (das Reich ist in Gefahr) nicht zu achten ist, wenn in ge= wissen Statuten der Bibel, welche mehr die Förmlichkeiten als den inneren Glaubensgehalt der Schrift betreffen, selbst an den Verfassern derselben einiges gerügt werden sollte: weil das Verbot der Prüfung einer Lehre der Glaubensfreiheit zuwider ist. Daß aber ein Geschichtsglaube

25 Pflicht sei und zur Seligkeit gehöre, ist Aberglaube.*)

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*) Aberglaube ist der Hang in das, was als nicht natürlicher Weise zugehend vermeint wird, ein größeres Vertrauen zu sehen, als was sich nach Naturgesehen erklären läßt — es sei im Physischen oder Moralischen. Man kann also die Frage aufwerfen: ob der Bibelglaube (als empirischer), oder ob umgekehrt die 30 Moral (als reiner Vernunft- und Religionsglaube) dem Lehrer zum Leitfaden dienen solle; mit anderen Worten: ist die Lehre von Gott, weil sie in der Bibel steht, oder steht sie in der Bibel, weil sie von Gott ist? Der erstere Satz ist augenscheinlich inconsequent: weil das göttliche Ansehen des Buchs hier vorausgesetzt werden muß, um die Göttlichkeit der Lehre desselben zu beweisen. Also 35 kann nur der zweite Sat Statt finden, der aber schlechterdings keines Beweises fähig ist (Supernaturalium non datur scientia). Hievon ein Beispiel. Die Jünger des mosaisch-messianischen Glaubens sahen ihre Hoffnung aus dem Bunde Gottes mit Abraham nach Jesu Tode ganz sinken (wir hofften, er würde

Kant's Schriften. Werke. VII.

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