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ferm Vernunftbegriff von der göttlichen Natur und seinem Willen widerstreitet, haben biblische Theologen sich längst zur Regel gemacht, daß, was menschlicherweise (avdpwñoñadw;) ausgedrückt ist, nach einem gottwürdigen Sinne (Deonрsлws) müsse ausgelegt werden; wodurch sie dann 5 ganz deutlich das Bekenntniß ablegten, die Vernunft sei in Religionssachen die oberste Auslegerin der Schrift. Daß aber selbst, wenn man dem heil. Schriftsteller keinen andern Sinn, den er wirklich mit seinen Ausdrücken verband, unterlegen kann, als einen solchen, der mit unserer Vernunft gar in Widerspruche steht, die Vernunft sich doch berechtigt fühle, 10 seine Schriftstelle so auszulegen, wie sie es ihren Grundsätzen gemäß findet, und nicht dem Buchstaben nach auslegen solle, wenn sie jenen nicht gar eines Irrthums beschuldigen will, das scheint ganz und gar wider die oberste Regeln der Interpretation zu verstoßen, und gleichwohl ist es noch immer mit Beifall von den belobtesten Gottesgelehrten geschehen. So 15 ist es mit St. Paulus' Lehre von der Gnadenwahl gegangen, aus welcher aufs deutlichste erhellt, daß seine Privatmeinung die Prädestination im strengsten Sinne des Worts gewesen sein muß, welche darum auch von einer großen protestantischen Kirche in ihren Glauben aufgenommen worden, in der Folge aber von einem großen Theil derselben wieder verlassen, 20 oder, so gut wie man konnte, anders gedeutet worden ist, weil die Vernunft sie mit der Lehre von der Freiheit, der Zurechnung der Handlungen und so mit der ganzen Moral unvereinbar findet. — Auch wo der Schrift= glaube in keinen Verstoß gewisser Lehren wider sittliche Grundsäße, sondern nur wider die Vernunftmarime in Beurtheilung physischer Erschei= 25 nungen geräth, haben Schriftausleger mit fast allgemeinem Beifall manche biblische Geschichtserzählungen, z. B. von den Besessenen (dämonischen Leuten), ob sie zwar in demselben historischen Tone wie die übrige heil. Geschichte in der Schrift vorgetragen worden und fast nicht zu zweifeln ist, daß ihre Schriftsteller sie buchstäblich für wahr gehalten haben, doch 30 so ausgelegt, daß die Vernunft dabei bestehen könnte (um nicht allem Aberglauben und Betrug freien Eingang zu verschaffen), ohne daß man ihnen diese Befugniß bestritten hat.

II. Der Glaube an Schriftlehren, die eigentlich haben offenbart werden müssen, wenn sie haben gekannt werden sollen, hat an sich kein 35 Verdienst, und der Mangel desselben, ja sogar der ihm entgegen= stehende Zweifel ist an sich keine Verschuldung, sondern alles kommt in der Religion aufs Thun an, und diese Endabsicht, mithin auch ein

dieser gemäßer Sinn muß allen biblischen Glaubenslehren untergelegt werden.

Unter Glaubensfäßen versteht man nicht, was geglaubt werden soll (denn das Glauben verstattet keinen Imperativ), sondern das, was in praktischer (moralischer) Absicht anzunehmen möglich und zweckmäßig, ob= 5 gleich nicht eben erweislich ist, mithin nur geglaubt werden kann. Nehme ich das Glauben ohne diese moralische Rücksicht blos in der Bedeutung eines theoretischen Fürwahrhaltens, z. B. dessen, was sich auf dem Zeugniß anderer geschichtmäßig gründet, oder auch, weil ich mir gewisse ge= gebene Erscheinungen nicht anders als unter dieser oder jener Voraus- 10 sehung erklären kann, zu einem Princip an, so ist ein solcher Glaube, weil er weder einen besseren Menschen macht noch einen solchen beweiset, gar kein Stück der Religion; ward er aber nur als durch Furcht und Hoffnung aufgedrungen in der Seele erkünftelt, so ist er der Aufrichtigkeit, mithin auch der Religion zuwider. Lauten also Spruchstellen so, als 15 ob sie das Glauben einer Offenbarungslehre nicht allein als an sich verdienstlich ansähen, sondern wohl gar über moralisch-gute Werke erhöben, so müssen sie so ausgelegt werden, als ob nur der moralische, die Seele durch Vernunft bessernde und erhebende Glaube dadurch gemeint sei; ge= sezt auch, der buchstäbliche Sinn, z. B. wer da glaubet und getaufet wird, 20 wird selig 2c., lautete dieser Auslegung zuwider. Der Zweifel über jene statutarische Dogmen und ihre Authenticität kann also eine moralische, wohlgesinnte Seele nicht beunruhigen. Eben dieselben Säße können gleichwohl als wesentliche Erfordernisse zum Vortrag eines gewissen Kirchenglaubens angesehen werden, der aber, weil er nur Vehikel des 25 Religionsglaubens, mithin an sich veränderlich ist und einer allmähligen Reinigung bis zur Congruenz mit dem letteren fähig bleiben muß, nicht zum Glaubensartikel selbst gemacht, obzwar doch auch in Kirchen nicht öffentlich angegriffen oder auch mit trockenem Fuß übergangen werden darf, weil er unter der Gewahrsame der Regierung steht, die für öffent- 30 liche. Eintracht und Frieden Sorge trägt, indessen daß es des Lehrers Sache ist davor zu warnen, ihm nicht eine für sich bestehende Heiligkeit beizulegen, sondern ohne Verzug zu dem dadurch eingeleiteten Religionsglauben überzugehen.

III. Das Thun muß als aus des Menschen eigenem Gebrauch seiner 35 moralischen Kräfte entspringend und nicht als Wirkung vom Einfluß einer äußeren höheren wirkenden Ursache, in Ansehung deren der Mensch

fich leidend verhielte, vorgestellt werden; die Auslegung der Schriftstellen, welche buchstäblich das leßtere zu enthalten scheinen, muß also auf die Übereinstimmung mit dem ersteren Grundsaße absichtlich gerichtet werden.

Wenn unter Natur das im Menschen herrschende Princip der Be= 5 förderung seiner Glückseligkeit, unter Gnade aber die in uns liegende unbegreifliche moralische Anlage, d. i. das Princip der reinen Sittlichfeit, verstanden wird, so find Natur und Gnade nicht allein von einander unterschieden, sondern auch oft gegen einander in Widerstreit. Wird aber unter Natur (in praktischer Bedeutung) das Vermögen aus eigenen Kräf10 ten überhaupt gewisse Zwecke auszurichten verstanden, so ist Gnade nichts anders als Natur des Menschen, so fern er durch sein eigenes inneres, aber übersinnliches Princip (die Vorstellung seiner Pflicht) zu Handlungen bestimmt wird, welches, weil wir uns es erklären wollen, gleichwohl aber weiter keinen Grund davon wissen, von uns als von der Gottheit in 15 uns gewirkter Antrieb zum Guten, dazu wir die Anlage in uns nicht selbst gegründet haben, mithin als Gnade vorgestellt wird. Die Sünde nåmlich (die Bösartigkeit in der menschlichen Natur) hat das Strafgeseß (gleich als für Knechte) nothwendig gemacht, die Gnade aber (d. i. die durch den Glauben an die ursprüngliche Anlage zum Guten in uns und 20 die durch das Beispiel der Gott wohlgefälligen Menschheit an dem Sohne Gottes lebendig werdende Hoffnung der Entwickelung dieses Guten) kann und soll in uns (als Freien) noch mächtiger werden, wenn wir sie nur in uns wirken, d. h. die Gesinnungen eines jenem heil. Beispiel ähnlichen Lebenswandels thätig werden lassen. - Die Schriftstellen also, die eine 25 blos passive Ergebung an eine äußere in uns Heiligkeit wirkende Macht zu enthalten scheinen, müssen so ausgelegt werden, daß daraus erhelle, wir müssen an der Entwickelung jener moralischen Anlage in uns selbst arbeiten, ob sie zwar selber eine Göttlichkeit eines Ursprungs beweiset, der höher ist als alle Vernunft (in der theoretischen Nachforschung der 30 Ursache), und daher, sie besigen, nicht Verdienst, sondern Gnade ist.

IV. Wo das eigene Thun zur Rechtfertigung des Menschen vor sei= nem eigenen (strenge richtenden) Gewissen nicht zulangt, da ist die Vernunft befugt allenfalls eine übernatürliche Ergänzung seiner mangelhaf= ten Gerechtigkeit (auch ohne daß sie bestimmen darf, worin sie bestehe) 35 gläubig anzunehmen.

Diese Befugniß ist für sich selbst klar; denn was der Mensch nach seiner Bestimmung sein soll (nämlich dem heil. Gesetz angemessen), das

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muß er auch werden können, und ist es nicht durch eigene Kräfte natürlicherweise möglich, so darf er hoffen, daß es durch äußere göttliche Mitwirkung (auf welche Art es auch sei) geschehen werde. -Man kann noch hinzusehen, daß der Glaube an diese Ergänzung seligmachend sei, weil er dadurch allein zum gottwohlgefälligen Lebenswandel (als der einzigen 5 Bedingung der Hoffnung der Seligkeit) Muth und feste Gesinnung fafsen kann, daß er am Gelingen seiner Endabsicht (Gott wohlgefällig zu wer= den) nicht verzweifelt. Daß er aber wissen und bestimmt müsse ange= ben können, worin das Mittel dieses Ersaßes (welches am Ende doch überschwenglich und bei allem, was uns Gott darüber selbst sagen möchte, 10 für uns unbegreiflich ist) bestehe, das ist eben nicht nothwendig, ja, auf diese Kenntniß auch nur Anspruch zu machen, Vermessenheit. Die Schriftstellen also, die eine solche specifische Offenbarung zu enthalten scheinen, müssen so ausgelegt werden, daß sie nur das Vehikel jenes moralischen Glaubens für ein Volk nach dessen bisher bei ihm im Schwang 15 gewesenen Glaubenslehren betreffen und nicht Religionsglauben (für alle Menschen), mithin blos den Kirchenglauben (z. B. für Judenchristen) angehen, welcher historischer Beweise bedarf, deren nicht jedermann theilhaftig werden kann; statt dessen Religion (als auf moralische Begriffe gegründet) für sich vollständig und zweifelsfrei sein muß.

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Aber selbst wider die Idee einer philosophischen Schriftauslegung höre ich die vereinigte Stimme der biblischen Theologen sich erheben: sie hat, sagt man, erstlich eine naturalistische Religion und nicht Christenthum zur Absicht. Antwort: das Christenthum ist die Idee von der Religion, die überhaupt auf Vernunft gegründet und so fern natürlich sein 25 muß. Es enthält aber ein Mittel der Einführung derselben unter Menschen, die Bibel, deren Ursprung für übernatürlich gehalten wird, die (ihr Ursprung mag sein, welcher er wolle), so fern sie den moralischen Vorschriften der Vernunft in Ansehung ihrer öffentlichen Ausbreitung und inniglicher Belebung beförderlich ist, als Vehikel zur Religion gezählt 30 werden kann und als ein solches auch für übernatürliche Offenbarung angenommen werden mag. Nun kann man eine Religion nur naturalistisch nennen, wenn sie es zum Grundsaße macht, keine solche Offenbarung einzuräumen. Also ist das Christenthum darum nicht eine natu

ralistische Religion, obgleich es blos eine natürliche ist, weil es nicht in Abrede ist, daß die Bibel nicht ein übernatürliches Mittel der Introduction der letteren und der Stiftung einer sie öffentlich lehrenden und bekennenden Kirche sein möge, sondern nur auf diesen Ursprung, wenn es 5 auf Religionslehre ankommt, nicht Rücksicht nimmt.

III.

Einwürfe und Beantwortung derselben, die Grundsäße der
Schriftauslegung betreffend.

Wider diese Auslegungsregeln höre ich ausrufen: erstlich: das sind 10 ja insgesammt Urtheile der philosophischen Facultät, welche sich also in das Geschäft des biblischen Theologen Eingriffe erlaubt. - Antwort: zum Kirchenglauben wird historische Gelehrsamkeit, zum Religionsglauben blos Vernunft erfordert. Jenen als Vehikel des letteren auszulegen ist freilich eine Forderung der Vernunft, aber wo ist eine solche rechtmäßi15 ger, als wo etwas nur als Mittel zu etwas Anderem als Endzweck (dergleichen die Religion ist) einen Werth hat, und giebt es überall wohl ein höheres Princip der Entscheidung, wenn über Wahrheit gestritten wird, als die Vernunft? Es thut auch der theologischen Facultät keinesweges Abbruch, wenn die philosophische sich der Statuten derselben bedient, ihre 20 eigene Lehre durch Einstimmung mit derselben zu bestärken; man sollte vielmehr denken, daß jener dadurch eine Ehre widerfahre. Soll aber doch, was die Schriftauslegung betrifft, durchaus Streit zwischen beiden fein, so weiß ich keinen andern Vergleich als diesen: wenn der biblische Theolog aufhören wird sich der Vernunft zu seinem Be25 huf zu bedienen, so wird der philosophische auch aufhören zu Bestätigung seiner Säße die Bibel zu gebrauchen. Ich zweifle aber sehr, daß der erstere sich auf diesen Vertrag einlassen dürfte. — Zweitens: jene Auslegungen sind allegorisch-mystisch, mithin weder biblisch noch philosophisch. Antwort: Es ist gerade das Gegentheil, näm30 lich daß, wenn der biblische Theolog die Hülle der Religion für die Religion selbst nimmt, er z. B. das ganze alte Testament für eine fortgehende Allegorie (von Vorbildern und symbolischen Vorstellungen) des noch kommenden Religionszustandes erklären muß, wenn er nicht annehmen will, das wäre damals schon wahre Religion gewesen (die doch nicht noch 35 wahrer als wahr sein kann), wodurch dann das neue entbehrlich gemacht

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