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ihm das Volk zufallen und die Seite der philosophischen Facultät mit Verachtung verlassen werde.

Die Geschäftsleute der drei oberen Facultäten sind aber jederzeit solche Wundermänner, wenn der philosophischen nicht erlaubt wird, ihnen 5 öffentlich entgegen zu arbeiten, nicht um ihre Lehren zu stürzen, sondern nur der magischen Kraft, die ihnen und den damit verbundenen Observanzen das Publicum abergläubisch beilegt, zu widersprechen, als wenn es bei einer passiven Übergebung an solche kunstreiche Führer alles Selbstthuns überhoben und mit großer Gemächlichkeit durch sie zu Erreichung 10 jener angelegenen Zwecke schon werde geleitet werden.

Wenn die obern Facultäten solche Grundsäße annehmen (welches freilich ihre Bestimmung nicht ist), so sind und bleiben sie ewig im Streit mit der unteren; dieser Streit aber ist auch gesetzwidrig, weil sie die Übertretung der Geseze nicht allein als kein Hinderniß, sondern wohl gar als 15 erwünschte Veranlassung ansehen, ihre große Kunst und Geschicklichkeit zu zeigen, alles wieder gut, ja noch besser zu machen, als es ohne dieselbe geschehen würde.

Das Volk will geleitet, d. i. (in der Sprache der Demagogen) es will betrogen sein. Es will aber nicht von den Facultätsgelehrten (denn 20 deren Weisheit ist ihm zu hoch), sondern von den Geschäftsmännern derselben, die das Machwerk (savoir faire) verstehen, von den Geistlichen, Justizbeamten, Ärzten, geleitet sein, die als Praktiker die vortheilhafteste Vermuthung für sich haben; dadurch dann die Regierung, die nur durch fie aufs Volk wirken kann, selbst verleitet wird, den Facultäten eine 25 Theorie aufzudringen, die nicht aus der reinen Einsicht der Gelehrten der= selben entsprungen, sondern auf den Einfluß berechnet ist, den ihre Geschäftsmänner dadurch aufs Volk haben können, weil dieses natürlicherweise dem am meisten anhängt, wobei es am wenigsten nöthig hat, sich selbst zu bemühen und sich seiner eigenen Vernunft zu bedienen, und wo 30 am besten die Pflichten mit den Neigungen in Verträglichkeit gebracht werden können; z. B. im theologischen Fache, daß buchstäblich „Glauben“, ohne zu untersuchen (selbst ohne einmal recht zu verstehen), was geglaubt werden soll, für sich heilbringend sei und daß durch Begehung gewisser vorschriftmäßigen Formalien unmittelbar Verbrechen können abgewaschen 35 werden; oder im juristischen, daß die Befolgung des Gesezes nach den Buchstaben der Untersuchung des Sinnes des Gesetzgebers überhebe.

Hier ist nun ein wesentlicher, nie beizulegender gesetzwidriger Streit

zwischen den obern und der untern Facultät, weil das Princip der Gesetzgebung für die ersteren, welches man der Regierung unterlegt, eine von ihr autorisirte Gesezlosigkeit selbst sein würde. Denn da Neigung und überhaupt das, was jemand seiner Privatabsicht zuträglich findet, sich schlechterdings nicht zu einem Geseße qualificirt, mithin auch nicht als ein 5 solches von den obern Facultäten vorgetragen werden kann, so würde eine Regierung, welche dergleichen sanctionirte, indem sie wider die Vernunft selbst verstößt, jene obere Facultäten mit der philosophischen in einen Streit versehen, der gar nicht geduldet werden kann, indem er diese gånzlich vernichtet, welches freilich das kürzeste, aber auch (nach dem Ausdruck 10 der Ärzte) ein in Todesgefahr bringendes heroisches Mittel ist, einen Streit zu Ende zu bringen.

Vierter Abschnitt.

Vom gesetzmäßigen Streit der oberen Facultäten

mit der unteren.

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Welcherlei Inhalts auch die Lehren immer sein mögen, deren öffentlichen Vortrag die Regierung durch ihre Sanction den obern Facultäten aufzulegen befugt sein mag, so können sie doch nur als Statute, die von ihrer Willkür ausgehen, und als menschliche Weisheit, die nicht unfehlbar ist, angenommen und verehrt werden. Weil indessen die Wahrheit der- 20 selben ihr durchaus nicht gleichgültig sein darf, in Ansehung welcher fie der Vernunft (deren Interesse die philosophische Facultät zu besorgen hat) unterworfen bleiben müssen, dieses aber nur durch Verstattung völliger Freiheit einer öffentlichen Prüfung derselben möglich ist, so wird, weil willkürliche, obzwar höchsten Orts sanctionirte, Saßungen mit den durch die 25 Vernunft als nothwendig behaupteten Lehren nicht so von selbst immer zusammenstimmen dürften, erstlich zwischen den obern Facultäten und der untern der Streit unvermeidlich, zweitens aber auch geseßmäßig sein, und dieses nicht blos als Befugniß, sondern auch als Pflicht der letteren, wenn gleich nicht die ganze Wahrheit öffentlich zu sagen, doch darauf be- 30 dacht zu sein, daß alles, was, so gesagt, als Grundsatz aufgestellt wird, wahr sei.

Wenn die Quelle gewisser sanctionirter Lehren historisch ist, so mögen diese auch noch so sehr als heilig dem unbedenklichen Gehorsam des Glaubens anempfohlen werden: die philosophische Facultät ist berechtigt, 35

ja verbunden, diesem Ursprunge mit kritischer Bedenklichkeit nachzuspüren. Ist fie rational, ob sie gleich im Tone einer historischen Erkenntniß (als Offenbarung) aufgestellt worden, so kann ihr (der untern Facultät) nicht gewehrt werden, die Vernunftgründe der Gesetzgebung aus dem historischen 5 Vortrage herauszusuchen und überdem, ob sie technisch- oder moralischpraktisch sind, zu würdigen. Wäre endlich der Quell der sich als Gesez ankündigenden Lehre gar nur ästhetisch, d. i. auf ein mit einer Lehre verbundenes Gefühl gegründet (welches, da es kein objectives Princip abgiebt, nur als subjectiv gültig, ein allgemeines Gesetz daraus zu machen untaug10 lich, etwa frommes Gefühl eines übernatürlichen Einfluffes sein würde), so muß es der philosophischen Facultät frei stehen, den Ursprung und Gehalt eines solchen angeblichen Belehrungsgrundes mit kalter Vernunft öffentlich zu prüfen und zu würdigen, ungeschreckt durch die Heiligkeit des Gegenstandes, den man zu fühlen vorgiebt, und entschlossen dieses ver15 meinte Gefühl auf Begriffe zu bringen. Folgendes enthält die formale Grundsäße der Führung eines solchen Streits und die sich daraus ergebende Folgen.

1) Dieser Streit kann und soll nicht durch friedliche Übereinkunft (amicabilis compositio) beigelegt werden, sondern bedarf (als Proceß) 20 einer Sentenz, d. i. des rechtskräftigen Spruchs eines Richters (der Vernunft); denn es könnte nur durch Unlauterkeit, Verheimlichung der Ursachen des Zwistes und Beredung geschehen, daß er beigelegt würde, dergleichen Marime aber dem Geiste einer philosophischen Facultät, als der auf öffentliche Darstellung der Wahrheit geht, ganz zuwider ist.

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2) Er kann nie aufhören, und die philosophische Facultät ist diejenige, die dazu jederzeit gerüstet sein muß. Denn statutarische Vorschriften der Regierung in Ansehung der öffentlich vorzutragenden Lehren werden immer sein müssen, weil die unbeschränkte Freiheit, alle seine Meinungen ins Publicum zu schreien, theils der Regierung, theils aber auch diesem Publi30 cum selbst gefährlich werden müßte. Alle Saßungen der Regierung aber, weil sie von Menschen ausgehen, wenigstens von diesen sanctionirt werden, bleiben jederzeit der Gefahr des Irrthums oder der Zweckwidrigkeit unterworfen; mithin sind sie es auch in Ansehung der Sanction der Regierung, womit diese die obere Facultäten versieht. Folglich kann die philosophische 35 Facultät ihre Rüstung gegen die Gefahr, womit die Wahrheit, deren Schuß ihr aufgetragen ist, bedroht wird, nie ablegen, weil die obere Facultäten ihre Begierde zu herrschen nie ablegen werden.

Kant's Schriften. Werke. VII.

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3) Dieser Streit kann dem Ansehen der Regierung nie Abbruch thun. Denn er ist nicht ein Streit der Facultäten mit der Regierung, sondern einer Facultät mit der andern, dem die Regierung ruhig zusehen kann; weil, ob sie zwar gewisse Säße der obern in ihren besondern Schuß ge= nommen hat, so fern sie solche der letteren ihren Geschäftsleuten zum 5 öffentlichen Vortrage vorschreibt, so hat sie doch nicht die Facultäten, als gelehrte Gesellschaften, wegen der Wahrheit dieser ihrer öffentlich vorzutragenden Lehren, Meinungen und Behauptungen, sondern nur wegen ihres (der Regierung) eigenen Vortheils in Schuß genommen, weil es ihrer Würde nicht gemäß sein würde, über den innern Wahrheitsgehalt 10 derselben zu entscheiden und so selbst den Gelehrten zu spielen. Die obere Facultäten sind nämlich der Regierung für nichts weiter verantwortlich, als für die Instruction und Belehrung, die sie ihren Geschäftsleuten zum öffentlichen Vortrage geben; denn die laufen ins Publicum als bürgerliches gemeines Wesen und sind daher, weil sie dem Einfluß 15 der Regierung auf dieses Abbruch thun könnten, dieser ihrer Sanction unterworfen. Dagegen gehen die Lehren und Meinungen, welche die Facultäten unter dem Namen der Theoretiker unter einander abzumachen haben, in eine andere Art von Publicum, nämlich in das eines gelehrten gemeinen Wesens, welches sich mit Wissenschaften beschäftigt; wovon das 20 Volk sich selbst bescheidet, daß es nichts davon versteht, die Regierung aber mit gelehrten Händeln sich zu befassen für sich nicht anständig findet*).

*) Dagegen, wenn der Streit vor dem bürgerlichen gemeinen Wesen (öffent | lich, z. B. auf Kanzeln) geführt würde, wie es die Geschäftsleute (unter dem Namen der Praktiker) gern versuchen, so wird er unbefugterweise vor den Richterstuhl des 25 Volks (dem in Sachen der Gelehrsamkeit gar kein Urtheil zusteht) gezogen und hört auf, ein gelehrter Streit zu sein; da dann jener Zustand des gesetzwidrigen Streits, wovon oben Erwähnung geschehen, eintritt, wo Lehren den Neigungen des Volks angemessen vorgetragen werden und der Same des Aufruhrs und der Factionen ausgestreut, die Regierung aber dadurch in Gefahr gebracht wird. Diese eigen 30 mächtig sich selbst dazu aufwerfende Volkstribunen treten so fern aus dem Gelehrtenstande, greifen in die Rechte der bürgerlichen Verfassung (Welthändel) ein und sind eigentlich die Neologen, deren mit Recht verhaßter Name aber sehr mißverstanden wird, wenn er jede Urheber einer Neuigkeit in Lehren und Lehrformen trifft. (Denn warum sollte das Alte eben immer das Bessere sein?) Dagegen diejenige eigent 35 lich damit gebrandmarkt zu werden verdienen, welche eine ganz andere Regierungsform, oder vielmehr eine Regierungslosigkeit (Anarchie) einführen, indem sie das, was eine Sache der Gelehrsamkeit ist, der Stimme des Volks zur Entscheidung übergeben, dessen Urtheil sie durch Einfluß auf seine Gewohnheiten, Gefühle und

Die Claffe der obern Facultäten (als die rechte Seite des Parlaments der Gelahrtheit) vertheidigt die Statute der Regierung, indessen daß es in einer so freien Verfassung, als die sein muß, wo es um Wahrheit zu thun ist, auch eine Oppositionspartei (die linke Seite) geben muß, welche die 5 Bank der philosophischen Facultät ist, weil ohne deren strenge Prüfung und Einwürfe die Regierung von dem, was ihr selbst ersprießlich oder nachtheilig sein dürfte, nicht hinreichend belehrt werden würde. Wenn aber die Geschäftsleute der Facultäten in Ansehung der für den öffentlichen Vortrag gegebenen Verordnung für ihren Kopf Änderungen machen 10 wollten, so kann die Aufsicht der Regierung diese als Neuerer, welche ihr gefährlich werden könnten, in Anspruch nehmen und doch gleichwohl über fie nicht unmittelbar, sondern nur nach dem von der obern Facultät eingezogenen allerunterthänigsten Gutachten absprechen, weil diese Geschäftsleute nur durch die Facultät von der Regierung zu dem Vortrage ge= 15 wiffer Lehren haben angewiesen werden können.

4) Dieser Streit kann sehr wohl mit der Eintracht des gelehrten und bürgerlichen gemeinen Wesens in Marimen zusammen bestehen, deren Befolgung einen beständigen Fortschritt beider Classen von Facultäten zu größerer Vollkommenheit bewirken muß und endlich zur Entlassung von 20 allen Einschränkungen der Freiheit des öffentlichen Urtheils durch die Willkür der Regierung vorbereitet.

Auf diese Weise könnte es wohl dereinst dahin kommen, daß die Leßten die Ersten (die untere Facultät die obere) würden, zwar nicht in der Machthabung, aber doch in Berathung des Machthabenden (der Regierung), als 25 welche in der Freiheit der philosophischen Facultät und der ihr daraus erwachsenden Einsicht besser als in ihrer eigenen absoluten Autorität Mittel zu Erreichung ihrer Zwecke antreffen würde.

Resultat.

Dieser Antagonism, d. i. Streit zweier mit einander zu einem ge30 meinschaftlichen Endzweck vereinigten Parteien, (concordia discors, discordia concors) ist also kein Krieg, d. i. keine Zwietracht aus der Entgegensetzung der Endabsichten in Ansehung des gelehrten Mein und Dein,

Neigungen nach Belieben lenken und so einer gesetzmäßigen Regierung den Einfluß abgewinnen können.

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