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forschungen es noch lange Stoff gnug zu Problemen geben wird, die Weisheit der sich nach und nach entwickelnden Naturanlagen zu bewundern und praktisch zu gebrauchen.

C.

Der Charakter des Volks.

Unter dem Wort Volk (populus) versteht man die in einem Landstrich vereinigte Menge Menschen, in so fern sie ein Ganzes ausmacht. Diejenige Menge oder auch der Theil derselben, welcher sich durch gemeinschaftliche Abstammung für vereinigt zu einem bürgerlichen Ganzen er10 kennt, heißt Nation (gens); der Theil, der sich von diesen Geseßen ausnimmt (die wilde Menge in diesem Volk), heißt Pöbel (vulgus),*) dessen gesetzwidrige Vereinigung das Rottiren (agere per turbas) ist; ein Verhalten, welches ihn von der Qualität eines Staatsbürgers ausschließt.

Hume meint: daß, wenn in einer Nation jeder Einzelne seinen be15 sonderen Charakter anzunehmen beflissen ist (wie unter den Engländern), die Nation selbst keinen Charakter habe. Mich dünkt, darin irre er sich; denn die Affectation eines Charakters ist gerade der allgemeine Charakter des Volks, wozu er selbst gehörte, und ist Verachtung aller Auswärtigen, besonders darum weil es sich allein einer ächten, staatsbürgerliche Frei20 heit im Innern mit Macht gegen Außen verbindenden Verfassung rühmen zu können glaubt. — Ein solcher Charakter ist stolze Grobheit im Gegensah der sich leicht familiär machenden Höflichkeit; ein troßiges Betragen gegen jeden anderen aus vermeinter Selbstständigkeit, wo man keines Anderen zu bedürfen, also auch der Gefälligkeit gegen andere sich über25 heben zu können glaubt.

Auf diese Weise werden die zwei civilisirtesten Völker auf Erden**), die gegen einander im Contrast des Charakters und vielleicht hauptsächlich darum mit einander in beständiger Fehde find, England und

*) Der Schimpfname la canaille du peuple hat wahrscheinlicher Weise seine 30 Abstammung von canalicola, einem am Canal im alten Rom hin und her gehen. den und beschäftigte Leute foppenden Haufen Müßiggänger (cavillator et ridicularius, vid. Plautus, Curcul.).

**) Es versteht sich, daß bei dieser Classification vom deutschen Volk abge. sehen werde: weil das Lob des Verfassers, der ein Deutscher ist, sonst Selbstlob 35 sein würde.

Frankreich, auch ihrem angebornen Charakter nach, von dem der erworbene und künstliche nur die Folge ist, vielleicht die einzigen Völker sein, von denen man einen bestimmten und, so lange sie nicht durch Kriegsge= walt vermischt werden, unveränderlichen Charakter annehmen kann. Daß die französische Sprache die allgemeine Conversations-Sprache 5 vornehmlich der weiblichen feinen Welt, die englische aber die ausgebreite= teste Handels-Sprache *) der commercirenden geworden ist, liegt wohl in dem Unterschiede ihrer continental- und insularischen Lage. Was aber ihr Naturell, was sie jezt wirklich haben, und dessen Ausbildung durch Sprache betrifft, so müßte dieses von dem angebornen Charakter des Ur- 10 volks ihrer Abstammung hergeleitet werden; dazu uns aber die Documente mangeln. In einer Anthropologie in pragmatischer Hinsicht aber liegt uns nur daran: den Charakter beider, wie sie jezt sind, in einigen Beispielen, und so weit es möglich ist, systematisch aufzustellen; welche urtheilen lassen, wessen sich das eine zu dem anderen zu versehen habe, und wie 15 eines das andere zu seinem Vortheil benußen könne.

Die angestammten oder durch langen Gebrauch gleichsam zur Natur gewordenen und auf sie gepfropften Marimen, welche die Sinnesart eines Volks ausdrücken, sind nur so viel gewagte Versuche, die Varietäten im natürlichen Hang ganzer Völker mehr für den Geographen, empirisch, als 20 für den Philosophen, nach Vernunftprincipien, zu classificiren.**)

*) Der kaufmännische Geist zeigt auch gewisse Modificationen seines Stolzes in der Verschiedenheit des Tons im Großthun. Der Engländer sagt: „Der Mann ist eine Million werth"; der Holländer: „Er commandirt eine Million"; der Franzose: Er besitzt eine Million."

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**) Die Türken, welche das christliche Europa Frankestan nennen, wenn sie auf Reisen gingen, um Menschen und ihren Volkscharakter kennen zu lernen (welches kein Volk außer dem europäischen thut und die Eingeschränktheit aller übrigen an Geist beweiset), würden die Eintheilung desselben, nach dem Fehlerhaften in ihrem Charakter gezeichnet, vielleicht auf folgende Art machen: 1. Das Modenland 30 (Frankreich). 2. Das Land der Launen (England). 3. Ahnenland (Spanien). 4. Prachtland (Italien). 5. Das Titelland (Deutschland fammt Dänemark und Schweden, als germanischen Völkern). — 6. Herrenland (Polen), wo ein jeder Staatsbürger Herr, keiner dieser Herren aber außer dem, der nicht Staatsbürger ist, Unterthan sein will. Rußland und die europäische Türkei, 35 beide von größtentheils asiatischer Abstammung, würden über Frankestan hinaus liegen: das erste slavischen, das andere arabischen Ursprungs, von zwei Stammvölkern, die einmal ihre Herrschaft über einen größeren Theil von Europa, als je

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Daß auf die Regierungsart alles ankomme, welchen Charakter ein Volk haben werde, ist eine ungegründete, nichts erklärende Behauptung; denn woher hat denn die Regierung selbst ihren eigenthümlichen Charakter? Auch Klima und Boden können den Schlüssel hiezu nicht geben; 5 denn Wanderungen ganzer Völker haben bewiesen, daß sie ihren Charakter durch ihre neuen Wohnsiße nicht veränderten, sondern ihn diesen nur nach Umständen anpaßten und doch dabei in Sprache, Gewerbart, selbst in Kleidung die Spuren ihrer Abstammung und hiemit auch ihren Charakter noch immer hervorblicken lassen. —— Ich werde die Zeichnung ihres 10 Portraits etwas mehr von der Seite ihrer Fehler und Abweichung von der Regel, als von der schöneren (dabei aber doch auch nicht in Caricatur) entwerfen; denn außerdem daß die Schmeichelei verdirbt, der Tadel dagegen bessert: so verstößt der Kritiker weniger gegen die Eigenliebe der Menschen, wenn er ihnen ohne Ausnahme blos ihre Fehler vorrückt, als 15 wenn er durch mehr oder weniger Lobpreisungen nur den Neid der Beurtheilten gegen einander rege machte.

1. Die französische Nation charakterisirt sich unter allen andern durch den Conversationsgeschmack, in Ansehung dessen sie das Muster aller übrigen ist. Sie ist höflich, vornehmlich gegen den Fremden, der sie be20 sucht, wenn es gleich jezt außer der Mode ist höfisch zu sein. Der Franzose ist es nicht aus Intereffe, sondern aus unmittelbarem Geschmacksbedürfniß sich mitzutheilen. Da dieser Geschmack vorzüglich den Umgang mit der weiblichen großen Welt angeht, so ist die Damensprache zur allgemeinen Sprache der leßteren geworden, und es ist überhaupt nicht zu 25 streiten: daß eine Neigung solcher Art auch auf Willfährigkeit in Dienstleistungen, hülfreiches Wohlwollen und allmählich auf allgemeine Menschenliebe nach Grundsäßen Einfluß haben und ein solches Volk im Ganzen liebenswürdig machen müsse.

Die Kehrseite der Münze ist die nicht genugsam durch überlegte 30 Grundsäße gezügelte Lebhaftigkeit und bei hellsehender Vernunft ein Leichtsinn, gewisse Formen, blos weil sie alt oder auch nur übermäßig ge= priesen worden, wenn man sich gleich dabei wohl befunden hat, nicht lange bestehen zu lassen, und ein ansteckender Freiheitsgeist, der auch wohl die Vernunft selbst in sein Spiel zieht und in Beziehung des Volks auf

35 ein anderes Volk ausgedehnt haben und in den Zustand einer Verfassung des Gesezes ohne Freiheit, wo also niemand Staatsbürger ist, gerathen find.

den Staat einen alles erschütternden Enthusiasm bewirkt, der noch über das Äußerste hinausgeht. — Die Eigenheiten dieses Volks, in schwarzer Kunst, doch nach dem Leben gezeichnet, lassen sich ohne weitere Beschreibung blos durch unzusammenhängend hingeworfene Bruchstücke, als Materialien zur Charakteristik, leicht in ein Ganzes vorstellig machen.

Die Wörter: Esprit (statt bon sens), frivolité, galanterie, petit maître, coquette, étourderie, point d'honneur, bon ton, bureau d'esprit, bon mot, lettre de cachetu. d. g. lassen sich nicht leicht in andere Sprachen übersehen: weil sie mehr die Eigenthümlichkeit der Sinnesart der Nation, die sie spricht, als den Gegenstand bezeichnen, der dem Denken 10 den vorschwebt.

2. Das englische Volk. Der alte Stamm der Briten*) (eines celtischen Volks) scheint ein Schlag tüchtiger Menschen gewesen zu sein; allein die Einwanderungen der Deutschen und des französischen Völkerstammes (denn die kurze Anwesenheit der Römer hat keine merkliche Spur 15 hinterlassen können) haben, wie es ihre vermischte Sprache beweiset, die Originalität dieses Volks verlöscht, und da die infularische Lage seines Bodens, die es wider äußere Angriffe ziemlich sichert, vielmehr selbst Angreifer zu werden einladet, es zu einem mächtigen Seehandlungsvolk machte, so hat es einen Charakter, den es sich selbst anschaffte, wenn es 20 gleich von Natur eigentlich keinen hat. Mithin dürfte der Charakter des Engländers wohl nichts anders bedeuten als den durch frühe Lehre und Beispiel erlernten Grundsaß, er müsse sich einen solchen machen, d. i. einen zu haben affectiren; indem ein steifer Sinn, auf einem freiwillig ange= nommenen Princip zu beharren und von einer gewissen Regel (gleich gut 25 welcher) nicht abzuweichen, einem Manne die Wichtigkeit giebt, daß man sicher weiß, wessen man sich von Ihm und Er sich von Anderen zu gewårtigen hat.

Daß dieser Charakter dem des französischen Volks mehr als irgend einem anderen gerade entgegengesetzt ist, erhellt daraus: weil er auf alle 30 Liebenswürdigkeit, als die vorzüglichste Umgangseigenschaft jenes Volks, mit anderen, ja sogar unter sich selbst Verzicht thut und blos auf Achtung Anspruch macht, wobei übrigens jeder blos nach seinem eigenen Kopfe leben will. Für seine Landesgenossen errichtet der Engländer große

*) Wie Hr. Prof. Büsch es richtig schreibt (nach dem Wort britanni, nicht 35 brittanni).

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und allen anderen Völkern unerhörte wohlthätige Stiftungen. Der Fremde aber, der durchs Schicksal auf jenes seinen Boden verschlagen und in große Noth gerathen ist, kann immer auf dem Misthaufen umkommen, weil er kein Engländer, d. i. kein Mensch, ist.

Aber auch in seinem eigenen Vaterlande isolirt sich der Engländer, wo er für sein Geld speist. Er will lieber in einem besonderen Zimmer allein als an der Wirthstafel für dasselbe Geld speisen: weil bei der leßteren doch etwas Höflichkeit erfordert wird, und in der Fremde, z. B. in Frankreich, dahin Engländer nur reisen, um alle Wege und Wirthshäuser 10 (wie D. Sharp) für abscheulich auszuschrein, sammeln sie sich in diesen, um blos unter sich Gesellschaft zu halten. Sonderbar ist doch, daß, da der Franzose die englische Nation gemeiniglich liebt und mit Achtung lobpreist, dennoch der Engländer (der nicht aus seinem Lande gekommen ist) jenen im allgemeinen haßt und verachtet; woran wohl nicht die Rivalität 15 der Nachbarschaft (denn da sieht sich England dem leßteren ohne allen Streit überlegen), sondern der Handelsgeist überhaupt schuld ist, der in der Voraussetzung den vornehmsten Stand auszumachen unter Kaufleuten desselben Volks sehr ungesellig ist*). Da beide Völker einander in Ansehung der beiderseitigen Küsten nahe und nur durch einen Canal (der frei20 lich wohl ein Meer heißen könnte) von einander getrennt sind: so bewirkt die Rivalität derselben unter einander doch einen auf verschiedene Art modificirten politischen Charakter in ihrer Befehdung: Besorgniß auf der einen und Haß auf der anderen Seite; welche zwei Arten ihrer Unvereinbarkeit sind, wovon jene die Selbsterhaltung, diese die Beherr= 25 schung, im entgegengesetzten Falle aber die Vertilgung der anderen zur Absicht hat.

Die Charakterzeichnung der übrigen, deren Nationaleigenthümlichkeit nicht sowohl wie bei beiden vorhergehenden meistens aus der Art ihrer verschiedenen Cultur, als vielmehr aus der Anlage ihrer Natur durch Ver30 mischung ihrer ursprünglich verschiedenen Stämme abzuleiten sein möchte, können wir jezt kürzer fassen.

* Der Handelsgeist ist überhaupt an sich ungesellig; wie der Adelsgeist. Ein Haus (so nennt der Kaufmann sein Comptoir) ist von dem anderen durch seine Geschäfte, wie ein Rittersit vom anderen durch eine Zugbrücke abgesondert und 35 freundschaftlicher Umgang ohne Ceremonie daraus verwiesen; es müßte denn der mit von demselben Beschüßten sein, die aber alsdann nicht als Glieder desselben anzusehen sein würden.

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