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I.

Vom Verhältnisse der Facultäten.

Erster Abschnitt.

Begriff und Eintheilung der oberen Facultäten.

Man kann annehmen, daß alle künstliche Einrichtungen, welche eine Vernunftidee (wie die von einer Regierung ist) zum Grunde haben, die fich an einem Gegenstande der Erfahrung (dergleichen das ganze gegen= wärtige Feld der Gelehrsamkeit) praktisch beweisen soll, nicht durch blos zufällige Auffammlung und willkürliche Zusammenstellung vorkommender 10 Fälle, sondern nach irgend einem in der Vernunft, wenn gleich nur dunkel, liegenden Princip und darauf gegründetem Plan versucht worden sind, der eine gewisse Art der Eintheilung nothwendig macht.

Aus diesem Grunde kann man annehmen, daß die Organisation einer Universität in Ansehung ihrer Klassen und Facultäten nicht so ganz 15 vom Zufall abgehangen habe, sondern daß die Regierung, ohne deshalb eben ihr frühe Weisheit und Gelehrsamkeit anzudichten, schon durch ihr eignes gefühltes Bedürfniß (vermittelst gewiffer Lehren aufs Volk zu wirken) a priori auf ein Princip der Eintheilung, was sonst empirischen Ursprungs zu sein scheint, habe kommen können, das mit dem jezt ange20 nommenen glücklich zusammentrifft; wiewohl ich ihr darum, als ob sie fehlerfrei sei, nicht das Wort reden will.

Nach der Vernunft (d. h. objectiv) würden die Triebfedern, welche die Regierung zu ihrem Zweck (auf das Volk Einfluß zu haben) benußen kann, in folgender Ordnung stehen: zuerst eines jeden ewiges Wohl 25 dann das bürgerliche als Glied der Gesellschaft, endlich das Leibeswohl (lange leben und gesund sein). Durch die öffentlichen Lehren in Ansehung des ersten kann die Regierung selbst auf das Innere der Ge=

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danken und die verschlossensten Willensmeinungen der Unterthanen, jene zu entdecken, diese zu lenken, den größten Einfluß haben; durch die, so sich aufs zweite beziehen, ihr äußeres Verhalten unter dem Zügel öffentlicher Gesetze halten; durch die dritte sich die Existenz eines starken und zahl= reichen Volks sichern, welches sie zu ihren Absichten brauchbar findet. -Nach der Vernunft würde also wohl die gewöhnlich angenommene Rangordnung unter den oberen Facultäten Statt finden; nämlich zuerst die theologische, darauf die der Juristen und zuleßt die medicinische Facultät. Nach dem Naturinstinct hingegen würde dem Menschen der Arzt der wichtigste Mann sein, weil dieser ihm sein Leben fristet, dar 10 auf allererst der Rechtserfahrne, der ihm das zufällige Seine zu erhalten verspricht, und nur zuleßt (fast nur, wenn es zum Sterben kommt), ob es zwar um die Seligkeit zu thun ist, der Geistliche gesucht werden: weil auch dieser selbst, so sehr er auch die Glückseligkeit der künftigen Welt preiset, doch, da er nichts von ihr vor sich sieht, sehnlich wünscht, von dem Arzt in 15 diesem Jammerthal immer noch einige Zeit erhalten zu werden.

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Alle drei obere Facultäten gründen die ihnen von der Regierung anvertraute Lehren auf Schrift, welches im Zustande eines durch Gelehrsamkeit geleiteten Volks auch nicht anders sein kann, weil ohne diese es keine beständige, für jedermann zugängliche Norm, darnach es sich richten 20 könnte, geben würde. Daß eine solche Schrift (oder Buch) Statute, d. i. von der Willkür eines Obern ausgehende (für sich selbst nicht aus der Vernunft entspringende) Lehren, enthalten müsse, versteht sich von selbst, weil diese sonst nicht als von der Regierung sanctionirt schlechthin Gehorsam fordern könnte, und dieses gilt auch von dem Gesetzbuche selbst in 25 Ansehung derjenigen öffentlich vorzutragenden Lehren, die zugleich aus der Vernunft abgeleitet werden könnten, auf deren Ansehen aber jenes keine Rücksicht nimmt, sondern den Befehl eines äußeren Gefeßgebers zum Grunde legt. - Von dem Gesetzbuch, als dem Kanon, find diejenigen Bücher, welche als (vermeintlich) vollständiger Auszug des Geistes des 30 Gesetzbuchs zum faßlichern Begriff und sicherern Gebrauch des gemeinen Wesens (der Gelehrten und Ungelehrten) von den Facultäten abgefaßt werden, wie etwa die symbolischen Bücher, gänzlich unterschieden. Sie können nur verlangen als Organon, um den Zugang zu jenem zu

erleichtern, angesehen zu werden und haben gar keine Autorität; selbst dadurch nicht, daß sich etwa die vornehmsten Gelehrten von einem gewissen Fache darüber geeinigt haben, ein solches Buch statt Norm für ihre Facultät gelten zu lassen, wozu sie gar nicht befugt sind, sondern sie einst5 weilen als Lehrmethode einzuführen, die aber nach Zeitumständen veränderlich bleibt und überhaupt auch nur das Formale des Vortrags betref= fen kann, im Materialen der Gesetzgebung aber schlechterdings nichts ausmacht.

Daher schöpft der biblische Theolog (als zur obern Facultät gehörig) 10 seine Lehren nicht aus der Vernunft, sondern aus der Bibel, der Rechtslehrer nicht aus dem Naturrecht, sondern aus dem Landrecht, der Arz= neigelehrte seine ins Publicum gehende Heilmethode nicht aus der Physik des menschlichen Körpers, sondern aus der Medicinalordnung.

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So bald eine dieser Facultäten etwas als aus der Vernunft Entlehn15 tes einzumischen wagt: so verlegt sie die Autorität der durch sie gebieten= den Regierung und kommt ins Gehege der philosophischen, die ihr alle glänzende von jener geborgte Federn ohne Verschonen abzieht und mit ihr nach dem Fuß der Gleichheit und Freiheit verfährt. Daher müssen die obern Facultäten am meisten darauf bedacht sein, sich mit der untern ja 20 nicht in Mißheirath einzulassen, sondern sie fein weit in ehrerbietiger Entfernung von sich abzuhalten, damit das Ansehen ihrer Statute nicht durch die freien Vernünfteleien der letzteren Abbruch leide.

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A.

Eigenthümlichkeit der theologischen Facultät.

Daß ein Gott sei, beweiset der biblische Theolog daraus, daß er in der Bibel geredet hat, worin diese auch von seiner Natur (selbst bis dahin, wo die Vernunft mit der Schrift nicht Schritt halten kann, z. B. vom unerreichbaren Geheimniß seiner dreifachen Persönlichkeit) spricht. Daß aber Gott selbst durch die Bibel geredet habe, kann und darf, weil es eine 30 Geschichtssache ist, der biblische Theolog als ein solcher nicht beweisen ; denn das gehört zur philosophischen Facultät. Er wird es also als Glaubenssache auf ein gewisses (freilich nicht erweisliches oder erklärliches) Gefühl der Göttlichkeit derselben selbst für den Gelehrten gründen, die Frage aber wegen dieser Göttlichkeit (im buchstäblichen Sinne genommen) 35 des Ursprungs derselben im öffentlichen Vortrage ans Volk gar nicht auf

werfen müssen: weil dieses sich darauf als eine Sache der Gelehrsamkeit doch gar nicht versteht und hiedurch nur in vorwißige Grübeleien und Zweifel verwickelt werden würde; da man hingegen hierin weit sicherer auf das Zutrauen rechnen kann, was das Volk in seine Lehrer seßt. Den Sprüchen der Schrift einen mit dem Ausdruck nicht genau zusam= 5 mentreffenden, sondern etwa moralischen Sinn unterzulegen, kann er auch nicht befugt sein, und da es keinen von Gott autorisirten menschlichen Schriftausleger giebt, muß der biblische Theolog eher auf übernatürliche Eröffnung des Verständnisses durch einen in alle Wahrheit leitenden Geist rechnen, als zugeben, daß die Vernunft sich darin menge und ihre (aller 10 höheren Autorität ermangelnde) Auslegung geltend mache. — Endlich was die Vollziehung der göttlichen Gebote an unserem Willen betrifft, so muß der biblische Theolog ja nicht auf die Natur, d. i. das eigne mora= lische Vermögen des Menschen (die Tugend), sondern auf die Gnade (eine übernatürliche, dennoch zugleich moralische Einwirkung) rechnen, deren 15 aber der Mensch auch nicht anders, als vermittelst eines inniglich das Herz umwandelnden Glaubens theilhaftig werden, diesen Glauben selbst aber doch wiederum von der Gnade erwarten kann. - Bemengt der biblische Theolog sich in Ansehung irgend eines dieser Säße mit der Vernunft, gesezt daß diese auch mit der größten Aufrichtigkeit und dem größ- 20 ten Ernst auf dasselbe Ziel hinstrebte, so überspringt er (wie der Bruder des Romulus) die Mauer des allein seligmachenden Kirchenglaubens und verläuft sich in das offene, freie Feld der eigenen Beurtheilung und Philosophie, wo er, der geistlichen Regierung entlaufen, allen Gefahren der Anarchie ausgesetzt ist. -Man muß aber wohl merken, daß ich hier vom 25 reinen (purus, putus) biblischen Theologen rede, der von dem verschrieenen Freiheitsgeist der Vernunft und Philosophie noch nicht angesteckt ist. Denn so bald wir zwei Geschäfte von verschiedener Art vermengen und in einander laufen laffen, tönnen wir uns von der Eigenthümlichkeit jedes einzelnen derselben keinen bestimmten Begriff machen.

B.

Eigenthümlichkeit der Juristenfacultät.

30

Der schriftgelehrte Jurist sucht die Gesetze der Sicherung des Mein und Dein (wenn er, wie er soll, als Beamter der Regierung verfährt) nicht in seiner Vernunft, sondern im öffentlich gegebenen und höchsten 35

Orts sanctionirten Gesetzbuch. Den Beweis der Wahrheit und Rechtmäßigkeit derselben, ingleichen die Vertheidigung wider die dagegen gemachte Einwendung der Vernunft kann man billigerweise von ihm nicht fordern. Denn die Verordnungen machen allererst, daß etwas recht ist, 5 und nun nachzufragen, ob auch die Verordnungen selbst recht sein mögen, muß von den Juristen als ungereimt gerade zu abgewiesen werden. Es wäre lächerlich, sich dem Gehorsam gegen einen äußern und obersten Willen darum, weil dieser angeblich nicht mit der Vernunft übereinstimmt, entziehen zu wollen. Denn darin besteht eben das Ansehen der Regierung, 10 daß sie den Unterthanen nicht die Freiheit läßt, nach ihren eigenen Begriffen, sondern nach Vorschrift der gesetzgebenden Gewalt über Recht und Unrecht zu urtheilen.

In einem Stücke aber ist es mit der Juristenfacultät für die Praxis doch beffer bestellt, als mit der theologischen: daß nämlich jene einen sicht15 baren Ausleger der Geseze hat, nämlich entweder an einem Richter, oder in der Appellation von ihm an einer Geseßcommission und (in der höchsten) am Gesetzgeber selbst, welches in Ansehung der auszulegenden Sprüche eines heiligen Buchs der theologischen Facultät nicht so gut wird. Doch wird dieser Vorzug andererseits durch einen nicht geringeren Nach20 theil aufgewogen, nämlich daß die weltlichen Gesetzbücher der Veränderung unterworfen bleiben müssen, nachdem die Erfahrung mehr oder bessere Einsichten gewährt, dahingegen das heilige Buch keine Veränderung (Verminderung oder Vermehrung) statuirt und für immer geschlossen zu sein behauptet. Auch findet die Klage der Juristen, daß es beinah vergeblich 25 fei, eine genau bestimmte Norm der Rechtspflege (ius certum) zu hoffen, beim biblischen Theologen nicht statt. Denn dieser läßt sich den Anspruch nicht nehmen, daß seine Dogmatik nicht eine solche klare und auf alle Fälle bestimmte Norm enthalte. Wenn überdem die juristischen Praktiker (Advocaten oder Justizcommissarien), die dem Clienten schlecht gerathen 30 und ihn dadurch in Schaden versetzt haben, darüber doch nicht verant wortlich sein wollen (ob consilium nemo tenetur), so nehmen es doch die theologischen Geschäftsmänner (Prediger und Seelsorger) ohne Bedenken auf sich und stehen dafür, nämlich dem Tone nach, daß alles so auch in der künftigen Welt werde abgeurtheilt werden, als sie es in dieser ab= 35 geschlossen haben; obgleich, wenn sie aufgefordert würden, sich förmlich zu erklären, ob sie für die Wahrheit alles dessen, was sie auf biblische Autorität geglaubt wissen wollen, mit ihrer Seele Gewähr zu leisten sich ge=

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