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Von dem specifischen Unterschiede des vergleichenden und des

vernünftelnden Wizes.

A.

Von dem productiven Wiße.

§ 55. Es ist angenehm, beliebt und aufmunternd, Ähnlichkeiten unter ungleichartigen Dingen aufzufinden und so, was der Wiß thut, für den Verstand Stoff zu geben, um seine Begriffe allgemein zu machen. Urtheilskraft dagegen, welche die Begriffe einschränkt und mehr zur Berichtigung als zur Erweiterung derselben beiträgt, wird zwar in allen 10 Ehren genannt und empfohlen, ist aber ernsthaft, strenge und in Ansehung der Freiheit zu denken einschränkend, eben darum aber unbeliebt. Des vergleichenden Wißes Thun und Lassen ist mehr Spiel; das der Urtheilskraft aber mehr Geschäfte. — Jener ist eher eine Blüthe der Jugend, diese mehr eine reife Frucht des Alters. — Der im höheren Grade in einem 15 Geistesproduct beide verbindet, ist sinnreich (perspicax).

Wit hascht nach Einfällen; Urtheilskraft strebt nach Einsichten. Bedachtsamkeit ist eine Burgemeistertugend (die Stadt unter dem Oberbefehl der Burg nach gegebenen Gesezen zu schüßen und zu verwalten). Dagegen kühn (hardi), mit Beiseiteseßung der Bedenklichkeiten der 20 Urtheilskraft, absprechen, wurde dem großen Verfasser des Natursystems, Buffon, von seinen Landsleuten zum Verdienst angerechnet, ob es zwar als Wagstück ziemlich nach Unbescheidenheit (Frivolität) aussieht. — Der Wit geht mehr nach der Brühe, die Urtheilskraft nach der Nahrung. Die Jagd auf Wigwörter (bons mots), wie sie der Abt Trublet reich25 lich aufstellte und den Wih dabei auf die Folter spannte, macht seichte Köpfe, oder ekelt den gründlichen nachgerade an. Er ist erfinderisch in Moden, d. i. den angenommenen Verhaltungsregeln, die nur durch die Neuheit gefallen und, ehe sie Gebrauch werden, gegen andere Formen, die eben so vorübergehend find, ausgetauscht werden müssen.

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Der Wit mit Wortspielen ist schal; leere Grübelei (Mikrologie) der Urtheilskraft aber pedantisch. Launichter Wiß heißt ein solcher, der aus der Stimmung des Kopfs zum Paradoren hervorgeht, wo hinter dem treuherzigen Ton der Einfalt doch der (durchtriebne) Schalk hervorblickt, jemanden (oder auch seine Meinung) zum Gelächter aufzustellen;

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indem das Gegentheil des Beifallswürdigen mit scheinbaren Lobsprüchen erhoben wird (Persiflage): z. B. Swift's Kunst in der Poesie zu kriechen" oder Butler's Hudibras; ein solcher Wiß, das Verächtliche durch den Contrast noch verächtlicher zu machen, ist durch die Überraschung des Unerwarteten sehr aufmunternd; aber doch immer nur ein Spiel und 5 leichter Wit (wie der des Voltaire); dagegen der, welcher wahre und wichtige Grundsätze in der Einkleidung aufstellt (wie Young in seinen Satiren) ein centnerschwerer Wiß genannt werden kann, weil es ein Geschäfte ist und mehr Bewunderung als Belustigung erregt.

Ein Sprichwort (proverbium) ist kein Wißwort (bon mot): denn 10 es ist eine gemein gewordene Formel, welche einen Gedanken ausdrückt, der durch Nachahmung fortgepflanzt wird und im Munde des Ersten wohl ein Witwort gewesen sein kann. Durch Sprichwörter reden ist daher die Sprache des Pöbels und beweiset den gänzlichen Mangel des Wißes im Umgange mit der feineren Welt.

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Gründlichkeit ist zwar nicht eine Sache des Wizes; aber sofern dieser durch das Bildliche, was er den Gedanken anhängt, ein Vehikel oder Hülle für die Vernunft und deren Handhabung für ihre moralisch-praktischen Ideen sein kann, läßt sich ein gründlicher Witz (zum Unterschiede des seichten) denken. Als eine von den, wie es heißt, bewunderungswürdigen 20 Sentenzen Samuel Johnsons über Weiber wird die in Wallers Leben angeführt: „Er lobte ohne Zweifel viele, die er sich zu heirathen würde gescheut haben, und heirathete vielleicht eine, die er sich geschämt haben würde zu loben." Das Spielende der Antithese macht hier das ganze Bewundernswürdige aus; die Vernunft gewinnt dadurch nichts. - Wo 25 es aber auf streitige Fragen für die Vernunft ankam, da konnte sein Freund Boswell keinen von ihm so unablässig gesuchten Orakelsspruch herauslocken, der den mindesten Wiß verrathen hätte; sondern alles, was er über die Zweifler im Punkte der Religion, oder des Rechts einer Regierung, oder auch nur die menschliche Freiheit überhaupt herausbrachte, 30 fiel bei seinem natürlichen und durch Verwöhnung von Schmeichlern eingewurzelten Despotism des Absprechens auf plumpe Grobheit hinaus, die seine Verehrer Rauhigkeit*) zu nennen belieben; die aber sein großes

*) Boswell erzählt, daß, da ein gewisser Lord in seiner Gegenwart sein Bedauern äußerte, daß Johnson nicht eine feinere Erziehung gehabt hätte, Baretti gesagt 35 habe: Nein, nein, Mylord! Sie hätten mit ihm machen mögen, was sie gewollt,

Unvermögen eines in demselben Gedanken mit Gründlichkeit vereinigten Wizes bewies. Auch scheinen die Männer von Einflusse, die seinen Freunden kein Gehör gaben, welche ihn als ein fürs Parlament ausnehmend taugliches Glied vorschlugen, sein Talent wohl gewürdigt zu haben. 5- Denn der Wiß, der zur Abfaffung des Wörterbuchs einer Sprache zureicht, langt darum noch nicht zu, Vernunftideen, die zur Einsicht in wichtigen Geschäften erforderlich sind, zu erwecken und zu beleben. Bescheidenheit tritt von selbst in das Gemüth dessen ein, der sich hiezu berufen sieht, und Mißtrauen in seine Talente, für sich allein nicht zu 10 entscheiden, sondern Anderer Urtheile (allenfalls unbemerkt) auch mit in Anschlag zu bringen, war eine Eigenschaft, die Johnson nie anwandelte.

B.

Von der Sagacität oder der Nachforschungsgabe.

§ 56. Um etwas zu entdecken (was entweder in uns selbst oder 15 anderwärts verborgen liegt), dazu gehört in vielen Fällen ein besonderes Talent, Bescheid zu wissen, wie man gut suchen soll: eine Naturgabe vorläufig zu urtheilen (iudicii praevii), wo die Wahrheit wohl möchte zu finden sein; den Dingen auf die Spur zu kommen und die kleinsten Anlässe der Verwandtschaft zu benutzen, um das Gesuchte zu entdecken 20 oder zu erfinden. Die Logik der Schulen lehrt uns nichts hierüber. Aber ein Baco von Verulam gab ein glänzendes Beispiel an seinem Organon von der Methode, wie durch Erperimente die verborgene Beschaffenheit der Naturdinge könne aufgedeckt werden. Aber selbst dieses Beispiel reicht nicht zu, eine Belehrung nach bestimmten Regeln zu geben, wie man mit 25 Glück suchen solle, denn man muß immer hiebei etwas zuerst voraussetzen (von einer Hypothese anfangen), von da man seinen Gang antreten will, und das muß nach Principien gewissen Anzeigen zu Folge geschehen, und daran liegts eben, wie man diese auswittern soll. Denn blind, auf gut Glück, da man über einen Stein stolpert und eine Erzstufe findet, hiemit 30 auch einen Erzgang entdeckt, es zu wagen, ist wohl eine schlechte Anweisung zum Nachforschen. Dennoch giebt es Leute von einem Talent, gleich=

er wäre immer ein Bär geblieben." "Doch wohl ein Tanzbår?" sagte der Andere, welches ein Dritter, sein Freund, dadurch zu mildern vermeinte, daß er sagte: „Er hat nichts vom Bären als das Fell."

sam mit der Wünschelruthe in der Hand den Schäßen der Erkenntniß auf die Spur zu kommen, ohne daß sie es gelernt haben; was sie denn auch andere nicht lehren, sondern es ihnen nur vormachen können, weil es eine Naturgabe ist.

C.

Von der Originalität des Erkenntnißvermögens
oder dem Genie.

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§ 57. Etwas erfinden ist ganz was anderes als etwas entdecken. Denn die Sache, welche man entdeckt, wird als vorher schon eristirend angenommen, nur daß sie noch nicht bekannt war, z. B. Amerika vor dem 10 Columbus; was man aber erfindet, z. B. das Schießpulver, war vor dem Künstler *), der es machte, noch gar nicht gekannt. Beides kann Verdienst sein. Man kann aber etwas finden, was man gar nicht sucht (wie der Goldkoch den Phosphor), und da ist es auch gar kein Verdienst. — Nun heißt das Talent zum Erfinden das Genie. Man legt aber diesen Namen 15 immer nur einem Künstler bei, also dem, der etwas zu machen versteht, nicht dem, der blos vieles kennt und weiß; aber auch nicht einem blos nachahmenden, sondern einem seine Werke ursprünglich hervorzubringen aufgelegten Künstler; endlich auch diesem nur, wenn sein Product musterhaft ist, d. i. wenn es verdient als Beispiel (exemplar) nachgeahmt zu 20 werden. Also ist das Genie eines Menschen, die musterhafte Originalität seines Talents" (in Ansehung dieser oder jener Art von Kunstproducten). Man nennt aber auch einen Kopf, der die Anlage dazu hat, ein Genie; da alsdann dieses Wort nicht blos die Naturgabe einer Person, sondern auch die Person selbst bedeuten soll. In vielen Fächern Genie 25 zu sein ist ein vastes Genie (wie Leonardo da Vinci).

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Das eigentliche Feld für das Genie ist das der Einbildungskraft: weil diese schöpferisch ist und weniger als andere Vermögen unter dem Zwange der Regeln steht, dadurch aber der Originalitåt desto fähiger ist.

*) Das Schießpulver war lange vor des Mönchs Schwarz Zeit schon in der 30 Belagerung von Ageziras gebraucht worden, und die Erfindung desselben scheint den Chinesen anzugehören. Es kann aber doch sein, daß jener Deutsche, der dieses Pulver in seine Hände bekam, Versuche zur Zergliederung desselben (z. B. durch Auslaugen des darin befindlichen Salpeters, Abschwemmung der Kohle und Verbrennung des Schwefels) machte und so es entdeckt, obgleich nicht erfunden hat.

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- Der Mechanism der Unterweisung, weil diese jederzeit den Schüler zur Nachahmung nöthigt, ist dem Auffeimen eines Genies, nämlich was seine Originalität betrifft, zwar allerdings nachtheilig. Aber jede Kunst bedarf doch gewisser mechanischer Grundregeln, nämlich der Angemessenheit des 5 Products zur untergelegten Idee, d. i. Wahrheit in der Darstellung des Gegenstandes, der gedacht wird. Das muß nun mit Schulstrenge gelernt werden und ist allerdings eine Wirkung der Nachahmung. Die Einbildungskraft aber auch von diesem Zwange zu befreien und das eigenthümliche Talent, sogar der Natur zuwider, regellos verfahren und schwärmen 10 zu lassen, würde vielleicht originale Tollheit abgeben, die aber freilich nicht musterhaft sein und also auch nicht zum Genie gezählt werden würde.

Geist ist das belebende Princip im Menschen. In der französischen Sprache führen Geist und Wiz einerlei Namen, Esprit. Jm Deutschen ist es anders. Man sagt: eine Rede, eine Schrift, eine Dame in 15 Gesellschaft u. s. w. ist schön; aber ohne Geist. Der Vorrath von Wit macht es hier nicht aus; denn man kann sich auch diesen verefeln, weil seine Wirkung nichts Bleibendes hinterläßt. Wenn alle jene obgenannte Sachen und Personen geistvoll heißen sollen, so müssen sie ein Interesse erregen und zwar durch Ideen. Denn das seßt die Einbildungskraft 20 in Bewegung, welche für dergleichen Begriffe einen großen Spielraum vor sich sieht. Wie wäre es also: wenn wir das französische Wort génie mit dem deutschen eigenthümlicher Geist ausdrückten; denn unsere Nation läßt sich bereden, die Franzosen hätten ein Wort dafür aus ihrer eigenen Sprache, dergleichen wir in der unsrigen nicht hätten, sondern von ihnen 25 borgen müßten, da sie es doch selbst aus dem Lateinischen (genius) geborgt haben, welches nichts anders als einen eigenthümlichen Geist be= deutet.

Die Ursache aber, weswegen die musterhafte Originalität des Talents mit diesem mystischen Namen benannt wird, ist, weil der, welcher 30 dieses hat, die Ausbrüche desselben sich nicht erklären oder auch, wie er zu einer Kunst komme, die er nicht hat erlernen können, sich selbst nicht begreiflich machen kann. Denn Unsichtbarkeit (der Ursache zu einer Wirfung) ist ein Nebenbegriff vom Geiste (einem genius, der dem Talentvollen schon in seiner Geburt beigefellt worden), dessen Eingebung gleichsam er 35 nur folgt. Die Gemüthskräfte aber müssen hiebei vermittelst der Einbildungskraft harmonisch bewegt werden, weil sie sonst nicht beleben, sondern sich einander stören würden, und das muß durch die Natur des Subjects

Kant's Schriften. Werke. VII.

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