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der Quadratur des Cirkels, des Perpetuum Mobile, die Enthüllung der übersinnlichen Kräfte der Natur und die Begreifung des Geheimnisses der Dreieinigkeit sind in seiner Gewalt. Er ist der ruhigfte unter allen Hospitaliten und seiner in sich verschlossenen Speculation wegen am weitesten von der Raserei entfernt: weil er mit voller Selbstgnügsamkeit über alle 5 Schwierigkeiten der Nachforschung wegsieht. — Diese vierte Art der Verrückung könnte man systematisch nennen.

Denn es ist in der letteren Art der Gemüthsstörung nicht blos Unordnung und Abweichung von der Regel des Gebrauchs der Vernunft, sondern auch positive Unvernunft, d. i. eine andere Regel, ein ganz 10 verschiedener Standpunkt, worein, so zu sagen, die Seele versetzt wird, und aus dem sie alle Gegenstände anders sieht und aus dem Sensorio communi, das zur Einheit des Lebens (des Thiers) erfordert wird, sich in einen davon entfernten Platz versezt findet (daher das Wort Verrückung); wie eine bergichte Landschaft, aus der Vogelperspective gezeich= 15 net, ein ganz anderes Urtheil über die Gegend veranlaßt, als wenn sie von der Ebene aus betrachtet wird. Zwar fühlt oder sieht die Seele sich nicht an einer andern Stelle (denn sie kann sich selbst nach ihrem Orte im Raum, ohne einen Widerspruch zu begehen, nicht wahrnehmen, weil sie sich sonst als Object ihres äußeren Sinnes anschauen würde, da sie sich 20 selbst nur Object des inneren Sinnes sein kann); aber man erklärt sich dadurch, so gut wie man kann, die sogenannte Verrückung. Es ist aber verwunderungswürdig, daß die Kräfte des zerrütteten Gemüths sich doch in einem System zusammenordnen, und die Natur auch sogar in die Unvernunft ein Princip der Verbindung derselben zu bringen strebt, damit 25 das Denkungsvermögen, wenn gleich nicht objectiv zum wahren Erkenntniß der Dinge, doch blos subjectiv zum Behuf des thierischen Lebens nicht unbeschäftigt bleibt.

Dagegen zeigt der Versuch, sich selbst durch physische Mittel in einem Zustande, welcher der Verrückung nahe kommt, und in den man sich will- 30 kürlich versezt, zu beobachten, um durch diese Beobachtung auch den unwillkürlichen besser einzusehen, Vernunft genug, den Ursachen der Erscheinungen nachzuforschen. Aber es ist gefährlich, mit dem Gemüth Experimente und es in gewissem Grade krank zu machen, um es zu beobachten und durch Erscheinungen, die sich da vorfinden möchten, seine Natur zu 35 erforschen. So will Helmont nach Einnehmung einer gewissen Dofis Napell (einer Giftwurzel) eine Empfindung wahrgenommen haben, als

ob er im Magen dächte. Ein anderer Arzt vergrößerte nach und nach die Gabe Kampher, bis es ihm vorkam, als ob alles auf der Straße in großem Tumult wäre. Mehrere haben mit dem Opium so lange an sich experimentirt, bis sie in Gemüthsschwäche fielen, wenn sie nachließen 5 dieses Hülfsmittel der Gedankenbelebung ferner zu gebrauchen. — Ein gefünftelter Wahnsinn könnte leicht ein wahrer werden.

Zerstreute Anmerkungen.

§ 53. Mit der Entwickelung der Keime zur Fortpflanzung entwickelt sich zugleich der Keim der Verrückung; wie diese dann auch erblich ist. Es 10 ist gefährlich in Familien zu heurathen, wo auch nur ein einziges solches Subject vorgekommen ist. Denn es mögen auch noch so viel Kinder eines Ehepaars sein, die vor dieser schlimmen Erbschaft bewahrt bleiben, weil sie z. B. insgesammt dem Vater, oder seinen Altern und Vorältern nachschlagen, so kommt doch, wenn die Mutter in ihrer Familie nur ein ver15 rücktes Kind gehabt hat (ob sie selbst gleich von diesem Übel frei ist), einmal in dieser Ehe ein Kind zum Vorschein, welches in die mütterliche Familie einschlägt (wie man es auch aus der Gestaltähnlichkeit abmerken kann) und angeerbte Gemüthsstörung an sich hat.

Man will öfters die zufällige Ursache dieser Krankheit anzugeben 20 wissen, so daß sie als nicht angeerbt, sondern zugezogen vorgestellt werden solle, als ob der Unglückliche selbst daran schuld sei. „Er ist aus Liebe toll geworden" sagt man von dem Einen; von dem Anderen: „Er wurde aus Hochmuth verrückt;" von einem Dritten wohl gar: „Er hat sich überstudirt." — Die Verliebung in eine Person von Stande, der die 25 Ehe zuzumuthen die größte Narrheit ist, war nicht die Ursache, sondern die Wirkung der Tollheit, und was den Hochmuth anlangt, so seßt die Zumuthung eines nichts bedeutenden Menschen an andere, sich vor ihm zu bücken, und der Anstand, sich gegen ihn zu brüsten, eine Tollheit voraus, ohne die er auf ein solches Betragen nicht gefallen sein würde. Was aber das Überstudiren*) anlangt, so hat es damit wohl keine Noth, um junge Leute davor zu warnen. Es bedarf hier bei der Jugend

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*) Daß sich Kaufleute überhandeln und über ihre Kräfte in weitläuftigen Planen verlieren, ist eine gewöhnliche Erscheinung. Für die Übertreibung des Fleißes junger Leute aber (wenn ihr Kopf nur sonst gesund war) haben besorgte Ältern nichts

eher der Spornen, als des Zügels. Selbst die heftigste und anhaltendste Anstrengung in diesem Punkt kann wohl das Gemüth ermüden, so daß der Mensch darüber gar der Wissenschaft gram wird, aber es nicht verstimmen, wo es nicht vorher schon verschroben war und daher Geschmack an mystischen Büchern und an Offenbarungen fand, die über den gesunden 5 Menschenverstand hinausgehen. Dahin gehört auch der Hang, sich dem Lesen der Bücher, die eine gewisse heilige Salbung erhalten haben, blos dieses Buchstabens halber, ohne das Moralische dabei zu beabsichtigen, ganz zu widmen, wofür ein gewiffer Autor den Ausdruck: „Er ist schrifttoll" ausgefunden hat.

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Ob es einen Unterschied zwischen der allgemeinen Tollheit (delirium generale) und der an einem bestimmten Gegenstande haftenden (delirium circa obiectum) gebe, daran zweifle ich. Die Unvernunft (die etwas Positives, nicht bloßer Vernunftmangel ist) ist eben sowohl wie die Vernunft eine bloße Form, der die Objecte können angepaßt werden, und 15 beide sind also aufs Allgemeine gestellt. Was nun aber beim Ausbruche der verrückten Anlage (der gemeiniglich plößlich geschieht) dem Gemüthe zuerst in den Wurf kommt (die zufällig aufstoßende Materie, worüber nachher gefaselt wird), darüber schwärmt nun der Verrückte fortan vorzüglich: weil es durch die Neuigkeit des Eindrucks stärker, als das übrige 20 Nachfolgende in ihm haftet.

Man sagt auch von jemanden, dem es im Kopfe übergesprungen ist: „Er hat die Linie passirt"; gleich als ob ein Mensch, der zum erstenmal die Mittellinie des heißen Weltstrichs überschreite, in Gefahr sei, den Verstand zu verlieren. Aber das ist nur Mißverstand. Es will nur so- 25 viel sagen als: der Geck, der ohne lange Mühe durch eine Reise nach Indien auf einmal Gold zu fischen hofft, entwirft schon hier als Narr seinen Plan; während dessen Ausführung aber wächst die junge Tollheit, und bei seiner Zurückkunft, wenn ihm auch das Glück hold gewesen, zeigt sie sich entwickelt in ihrer Vollkommenheit.

Der Verdacht, daß es mit jemandes Kopf nicht richtig sei, fällt schon auf den, der mit sich selbst laut spricht, oder darüber ertappt wird, daß er für sich im Zimmer gesticulirt. — Mehr noch, wenn er sich mit Ein

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zu fürchten. Die Natur verhütet solche Überladungen des Wissens schon von selbst dadurch, daß dem Studirenden die Dinge anefeln, über die er kopfbrechend und doch 35 vergeblich gebrütet hat.

gebungen begnadigt, oder heimgesucht und mit höheren Wesen im Ge= spräche und Umgange zu sein glaubt; doch dann eben nicht, wenn er zwar andere heilige Männer dieser übersinnlichen Anschauungen vielleicht für fähig einräumt, sich selbst aber dazu nicht auserwählt zu sein wähnt, ja 5 es auch nicht einmal zu wünschen gesteht und also sich ausnimmt.

Das einzige allgemeine Merkmal der Verrücktheit ist der Verlust des Gemeinsinnes (sensus communis) und der dagegen eintretende logische Eigensinn (sensus privatus), 3. B. ein Mensch sieht am hellen Tage auf seinem Tisch ein brennendes Licht, was doch ein anderer Dabei10 stehende nicht sieht, oder hört eine Stimme, die kein Anderer hört. Denn es ist ein subjectiv - nothwendiger Probirstein der Richtigkeit unserer Urtheile überhaupt und also auch der Gesundheit unseres Verstandes: daß wir diesen auch an den Verstand Anderer halten, nicht aber uns mit dem unsrigen isoliren und mit unserer Privatvorstellung doch gleichsam 15 öffentlich urtheilen. Daher das Verbot der Bücher, die blos auf theoretische Meinungen gestellt find (vornehmlich wenn sie aufs gefeßliche Thun und Lassen gar nicht Einfluß haben), die Menschheit beleidigt. Denn man nimmt uns ja dadurch, wo nicht das einzige, doch das größte und brauchbarste Mittel unsere eigene Gedanken zu berichtigen, welches 20 dadurch geschieht, daß wir sie öffentlich aufstellen, um zu sehen, ob sie auch mit Anderer ihrem Verstande zusammenpassen; weil sonst etwas blos Subjectives (z. B. Gewohnheit oder Neigung) leichtlich für objectiv würde gehalten werden: als worin gerade der Schein besteht, von dem man sagt, er betrügt, oder vielmehr wodurch man verleitet wird, in der Anwendung 25 einer Regel sich selbst zu betrügen. — Der, welcher sich an diesen Probirstein gar nicht kehrt, sondern es sich in den Kopf seßt, den Privatsinn ohne, oder selbst wider den Gemeinsinn schon für gültig anzuerkennen, ist einem Gedankenspiel hingegeben, wobei er nicht in einer mit anderen gemeinsamen Welt, sondern (wie im Traum) in seiner eigenen sich sieht, verfährt 30 und urtheilt. - Bisweilen kann es doch blos an den Ausdrücken liegen, wodurch ein sonst helldenkender Kopf seine äußern Wahrnehmungen Anderen mittheilen will, daß sie nicht mit dem Princip des Gemeinfinnes zusammenstimmen wollen, und er auf seinem Sinne beharrt. So hatte der geistvolle Verfasser der Oceana, Harrington, die Grille, daß seine 35 Ausdünstungen (effluvia) in Form der Fliegen von seiner Haut abspran= gen. Es können dieses aber wohl elektrische Wirkungen auf einen mit diesem Stoff überladenen Körper gewesen sein, wovon man auch sonst Er

fahrung gehabt haben will, und er hat damit vielleicht nur eine Ähnlichkeit seines Gefühls mit diesem Absprunge, nicht das Sehen dieser Fliegen andeuten wollen.

Die Verrückung mit Wuth (rabies), einem Affecte des Zorns (gegen einen wahren oder eingebildeten Gegenstand), welcher ihn gegen alle Ein- 5 drücke von außen unempfindlich macht, ist nur eine Spielart der Störung, die öfters schreckhafter aussieht, als sie in ihren Folgen ist, welche wie der Parorysm in einer hißigen Krankheit nicht sowohl im Gemüth gewurzelt, als vielmehr durch materielle Ursachen erregt wird und oft durch den Arzt mit Einer Gabe gehoben werden kann.

Von den Talenten im Erkenntnißvermögen.

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§ 54. Unter Talent (Naturgabe) versteht man diejenige Vorzüglichkeit des Erkenntnißvermögens, welche nicht von der Unterweisung, sondern der natürlichen Anlage des Subjects abhängt. Sie sind der productive Wit (ingenium strictius s. materialiter dictum), die Sagacität und 15 die Originalität im Denken (das Genie).

Der Wit ist entweder der vergleichende (ingenium comparans), oder der vernünftelnde Wit (ingenium argutans). Der Wit paart (assimilirt) heterogene Vorstellungen, die oft nach dem Gefeße der Einbildungskraft (der Association) weit auseinander liegen, und ist ein eigen- 20 thümliches Verähnlichungsvermögen, welches dem Verstande (als dem Vermögen der Erkenntniß des Allgemeinen), so fern er die Gegenstände unter Gattungen bringt, angehört. Er bedarf nachher der Urtheilskraft, um das Besondere unter dem Allgemeinen zu bestimmen und das Den= fungsvermögen zum Erkennen anzuwenden. — Wißig (im Neden oder 25 Schreiben) zu sein, kann durch den Mechanism der Schule und ihren Zwang nicht erlernt werden, sondern gehört, als ein besonderes Talent, zur Liberalität der Sinnesart in der wechselseitigen Gedankenmittheilung (veniam damus petimusque vicissim); einer schwer zu erklärenden Eigenschaft des Verstandes überhaupt gleichsam seiner Gefällig- 30 keit, die mit der Strenge der Urtheilskraft (iudicium discretivum) in der Anwendung des Allgemeinen auf das Besondere (der Gattungsbegriffe auf die der Species) contrastirt, als welche das Assimilationsvermögen sowohl, als auch den Hang dazu einschränkt.

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