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Das Zeitalter der Gelangung des Menschen zum vollständigen Gebrauch seiner Vernunft kann in Ansehung seiner Geschicklichkeit (Kunstvermögens zu beliebiger Absicht) etwa ins zwanzigste, das in Ansehung der Klugheit (andere Menschen zu seinen Absichten zu brauchen) ins 5 vierzigste, endlich das der Weisheit etwa im sechzigsten anberaumt werden; in welcher letteren Epoche aber sie mehr negativ ist, alle Thorheiten der beiden ersteren einzusehen; wo man sagen kann: „Es ist Schade alsdann sterben zu müssen, wenn man nun allererst gelernt hat, wie man recht gut hätte leben sollen,“ und wo selbst dieses Urtheil noch 10 selten ist; indem die Anhänglichkeit am Leben desto stärker wird, je weniger es sowohl im Thun als Genießen Werth hat.

§ 44. So wie das Vermögen zum Allgemeinen (der Regel) das Besondere auszufinden Urtheilskraft, so ist dasjenige zum Besondern das Allgemeine auszudenken der Wit (ingenium). Das erstere geht auf 15 Bemerkung der Unterschiede unter dem Mannigfaltigen, zum Theil Jdentischen; das zweite auf die Identität des Mannigfaltigen, zum Theil Verschiedenen. — Das vorzüglichste Talent in beiden ist, auch die kleinsten Ähnlichkeiten oder Unähnlichkeiten zu bemerken. Das Vermögen dazu ist Scharfsinnigkeit (acumen), und Bemerkungen dieser Art heißen 20 Subtilitäten: welche, wenn sie doch die Erkenntniß nicht weiter bringen, leere Spitfindigkeiten oder eitele Vernünfteleien (vanae argutationes) heißen und, obgleich eben nicht unwahre, doch unnüße Verwendung des Verstandes überhaupt sich zu Schulden kommen lassen. Also ist die Scharfsinnigkeit nicht blos an die Urtheilskraft gebunden, sondern 25 kommt auch dem Wiße zu; nur daß sie im erstern Fall mehr der Genauigkeit halber (cognitio exacta), im zweiten des Reichthums des guten Kopfs wegen als verdienstlich betrachtet wird: weshalb auch der Wiz blühend genannt wird; und wie die Natur in ihren Blumen mehr ein Spiel, dagegen in den Früchten ein Geschäfte zu treiben scheint, so 30 wird das Talent, was in diesem angetroffen wird, für geringer im Rang (nach den Zwecken der Vernunft) als das beurtheilt, was der ersteren zukommt. Der gemeine und gesunde Verstand macht weder Anspruch auf Wiß noch auf Scharfsinnigkeit: welche eine Art von Lurus der Köpfe abgeben, da hingegen jener sich auf das wahre Bedürfniß einschränkt.

Von den Schwächen und Krankheiten der Seele in Ansehung ihres Erkenntnißvermögens.

A.

Allgemeine Eintheilung.

§ 45. Die Fehler des Erkenntnißvermögens sind entweder Ge- 5 müthsschwächen, oder Gemüthskrankheiten. Die Krankheiten der Seele in Ansehung des Erkenntnißvermögens lassen sich unter zwei Hauptgattungen bringen. Die eine ist die Grillenkrankheit (Hypochondrie) und die andere das gestörte Gemüth (Manie). Bei der ersteren ist sich der Kranke wohl bewußt, daß es mit dem Laufe seiner Gedanken nicht 10 richtig zugehe: indem den Gang derselben zu richten, ihn aufzuhalten oder anzutreiben seine Vernunft nicht hinreichende Gewalt über sich selbst hat. Unzeitige Freude und unzeitige Bekümmernisse, mithin Launen wechseln wie das Wetter, das man nehmen muß, wie es sich findet, in ihm ab. Das zweite ist ein willkürlicher Lauf seiner Gedanken, der seine eigene 15 (subjective) Regel hat, welche aber den (objectiven) mit Erfahrungsgesehen zusammenstimmenden zuwider läuft.

In Ansehung der Sinnenvorstellung ist die Gemüthsstörung entweder Unsinnigkeit oder Wahnsinn. Als Verkehrtheit der Urtheilskraft und der Vernunft heißt sie Wahnwiß oder Aberwiß. Wer bei 20 seinen Einbildungen die Vergleichung mit den Gefeßen der Erfahrung habituell unterläßt (wachend träumt), ist Phantast (Grillenfänger); ist er es mit Affect, so heißt er Enthusiast. Unerwartete Anwandlungen des Phantasten heißen Überfälle der Phantasterei (raptus).

Der Einfältige, Unkluge, Dumme, Geck, Thor und Narr unterscheiden 25 sich vom Gestörten nicht blos in Graden, sondern in der verschiedenen Qualität ihrer Gemüthsverstimmung, und jene gehören ihrer Gebrechen wegen noch nicht ins Narrenhospital, d. i. einen Ort, wo Menschen unerachtet der Reife und Stärke ihres Alters doch in Ansehung der geringften Lebensangelegenheiten durch fremde Vernunft in Ordnung gehalten 30 werden müssen. Wahnsinn mit Affect ist Tollheit, welche oft original, dabei aber unwillkürlich anwandelnd sein kann und alsdann, wie die dichterische Begeisterung (furor poeticus) an das Genie gränzt; ein solcher Anfall aber der leichteren, aber ungeregelten Zuströmung von

Ideen, wenn er die Vernunft trifft, heißt Schwärmerei. Das Hinbrüten über einer und derselben Idee, die doch keinen möglichen Zweck hat, z. B. über den Verlust eines Gatten, der doch ins Leben nicht zurückzurufen ist, um in dem Schmerz selbst Beruhigung zu suchen, ist stumme 5 Verrücktheit. Der Aberglaube ist mehr mit dem Wahnsinn, die Schwärmerei mit dem Wahnwiß zu vergleichen. Der lettere Kopfkranke wird oft auch (mit gemildertem Ausdrucke) exaltirt, auch wohl excentrischer Kopf genannt.

Das Frrereden in Fiebern, oder der mit Epilepsie verwandte Anfall 10 von Raserei, welcher bisweilen durch starke Einbildungskraft beim bloßen starren Anblick eines Rasenden sympathetisch erregt wird (weshalb es auch Leuten von sehr beweglichen Nerven nicht zu rathen ist, ihre Curiosität bis zu den Clausen dieser Unglücklichen zu erstrecken), ist als vorübergehend noch nicht für Verrückung zu halten. — Was man aber einen 15 Wurm nennt (nicht Gemüthskrankheit; denn darunter versteht man gewöhnlich schwermüthige Verschrobenheit des inneren Sinnes), ist mehrentheils ein an Wahnsinn gränzender Hochmuth des Menschen, dessen Anfinnen, daß Andere sich selbst in Vergleichung mit ihm verachten sollen, seiner eigenen Absicht (wie die eines Verrückten) gerade zuwider ist; indem 20 er diese eben dadurch reizt, seinem Eigendünkel auf alle mögliche Art Abbruch zu thun, ihn zu zwacken und seiner beleidigenden Thorheit wegen dem Gelächter blos zu stellen. Gelinder ist der Ausdruck von einer Grille (marotte), die jemand bei sich nährt: ein populär sein sollender Grundsatz, der doch nirgend bei Klugen Beifall findet, z. B. von seiner 25 Gabe der Ahndungen, gewissen dem Genius des Sokrates ähnlichen Eingebungen, gewissen in der Erfahrung begründet sein sollenden, obgleich unerklärlichen Einflüssen, als der Sympathie, Antipathie, Idiosynkrasie (qualitates occultae), die ihm gleichsam wie eine Hausgrille im Kopfe tschirpt und die doch kein anderer hören kann. Die gelindeste unter allen 30 Abschweifungen über die Gränzlinie des gesunden Verstandes ist das Steckenpferd; eine Liebhaberei sich an Gegenständen der Einbildungskraft, mit denen der Verstand zur Unterhaltung bloß spielt, als mit einem Geschäfte geflissentlich zu befassen, gleichsam ein beschäftigter Müßiggang. Für alte, sich in Ruhe seßende und bemittelte Leute ist diese gleichsam in 35 die sorglose Kindheit sich wieder zurückziehende Gemüthslage nicht allein als eine die Lebenskraft immer rege erhaltende Agitation der Gesundheit zuträglich, sondern auch liebenswürdig, dabei aber auch belachenswerth; so

doch daß der Belachte gutmüthig mitlachen kann. — Aber auch bei Jünge= ren und Beschäftigten dient diese Reiterei zur Erholung, und Klüglinge, die so kleine unschuldige Thorheiten mit pedantischem Ernste rügen, verdie nen Sterne's zurechtweisung: „Laß doch einen jeden auf seinem Steckenpferde die Straßen der Stadt auf und nieder reiten: wenn er dich nur 5 nicht nöthigt hinten aufzusißen."

B.

Von den Gemüthsschwächen im Erkenntnißvermögen.

§ 46. Dem es an Wiz mangelt, ist der stumpfe Kopf (obtusum caput). Er fann übrigens, wo es auf Verstand und Vernunft ankommt, 10 ein sehr guter Kopf sein; nur muß man ihm nicht zumuthen, den Poeten zu spielen: wie dem Clavius, den sein Schulmeister schon beim Grobschmied in die Lehre geben wollte, weil er keine Verse machen konnte, der aber, als er ein mathematisches Buch in die Hände bekam, ein großer Mathematiker ward. — Ein Kopf von langsamer Begreifung ist darum 15 noch nicht ein schwacher Kopf; so wie der von behenden Begriffen nicht immer auch ein gründlicher, sondern oft sehr seicht ist.

Der Mangel der Urtheilskraft ohne Wiß ist Dummheit (stupiditas). Derselbe Mangel aber mit Wiß ist Albernheit. Wer Urtheilskraft in Geschäften zeigt, ist gescheut. Hat er dabei zugleich Wih, so 20 heißt er flug. Der, welcher eine dieser Eigenschaften blos affectirt, der Wizling sowohl als der Klügling, ist ein ekelhaftes Subject. Durch Schaden wird man gewißigt; wer es aber in dieser Schule so weit gebracht hat, daß er andere durch ihren Schaden flug machen kann, ist abgewißt. Unwissenheit ist nicht Dummheit: wie eine gewiffe Dame 25 auf die Frage eines Akademikers: „Fressen die Pferde auch des Nachts?" erwiederte: Wie kann doch ein so gelehrter Mann so dumm sein?" Sonst ist es Beweis von gutem Verstande, wenn der Mensch auch nur weiß, wie er gut fragen soll (um entweder von der Natur oder einem anderen Menschen belehrt zu werden).

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Einfältig ist der, welcher nicht viel durch seinen Verstand auffassen kann; aber er ist darum nicht dumm, wenn er es nicht verkehrt auffaßt. Ehrlich, aber dumm (wie einige ungebührlich den pommerschen Bedienten beschreiben), ist ein falscher und höchst tadelhafter Spruch. Er ist falsch: denn Ehrlichkeit (Pflichtbeobachtung aus Grundsätzen) ist praktische 35

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Vernunft. Er ist höchst tadelhaft: weil er vorausseßt, daß ein jeder, wenn er sich nur dazu geschickt fühlte, betrügen würde, und, daß er nicht betrügt, bloß von seinem Unvermögen herrühre. Daher die Sprichwörter: „Er hat das Schießpulver nicht erfunden, er wird das Land nicht verrathen, 5 er ist kein Herenmeister" menschenfeindliche Grundsäße verrathen: daß man nämlich bei Voraussetzung eines guten Willens der Menschen, die wir kennen, doch nicht sicher sein könne, sondern nur beim Unvermögen. derselben. - So, sagt Hume, vertraut der Großsultan seinen Harem nicht der Tugend derjenigen, welche ihn bewachen sollen, sondern ihrem 10 Unvermögen (als schwarzen Verschnittenen) an. In Ansehung des Umfangs seiner Begriffe sehr beschränkt (bornirt) zu sein, macht die Dummheit noch nicht aus, sondern es kommt auf die Beschaffenheit derselben (die Grundsäße) an. — Daß sich Leute von Schahgräbern, Gold= machern und Lotteriehändlern hinhalten lassen, ist nicht ihrer Dummheit, sondern ihrem bösen Willen zuzuschreiben: ohne proportionirte eigene Bemühung auf Kosten anderer reich zu werden. Die Verschlagenheit, Verschmißtheit, Schlauigkeit (versutia, astutia) ist die Geschicklichkeit, Andere zu betrügen. Die Frage ist nun: ob der Betrüger klüger sein müsse als der, welcher leicht betrogen wird, und der letztere der Dumme 20 sei. Der Treuherzige, welcher leicht vertraut (glaubt, Credit giebt), wird auch wohl bisweilen, weil er ein leichter Fang für Schelme ist, obzwar sehr ungebührlich, Narr genannt, in dem Sprichwort: wenn die Narren zu Markte kommen, so freuen sich die Kaufleute. Es ist wahr und klug, daß ich dem, der mich einmal betrogen hat, niemals mehr traue; 25 denn er ist in seinen Grundsäßen verdorben. Aber darum, weil mich einer betrogen hat, keinem anderen Menschen zu trauen, ist Misanthropie. Der Betrüger ist eigentlich der Narr. — Aber wie, wenn er auf einmal durch einen großen Betrug sich in den Stand zu sehen gewußt hat, keines anderen und seines Zutrauens mehr zu bedürfen? In dem Fall 30 ändert sich wohl der Charakter, unter dem er erscheint, aber nur dahin: daß, anstatt der betrogene Betrüger ausgelacht, der glückliche ange= spieen wird; wobei doch auch kein dauernder Vortheil ist. *)

*) Die unter uns lebenden Palästiner sind durch ihren Wuchergeist seit ihrem Exil, auch was die größte Menge betrifft, in den nicht ungegründeten Ruf des 35 Betruges gekommen. Es scheint nun zwar befremdlich, sich eine Nation von Betrügern zu denken; aber eben so befremdlich ist es doch auch, eine Nation von lauter Kaufleuten zu denken, deren bei weitem größter Theil, durch einen alten, von

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