Imágenes de páginas
PDF
EPUB

möglich ist. Das Zurückfehen aufs Vergangene (Erinnern) geschieht nur in der Absicht, um das Voraussehen des Künftigen dadurch möglich zu machen: indem wir im Standpunkte der Gegenwart überhaupt um uns sehen, um etwas zu beschließen, oder worauf gefaßt zu sein.

Das empirische Voraussehen ist die Erwartung ähnlicher Fälle s (exspectatio casuum similium) und bedarf keiner Vernunftkunde von Ursachen und Wirkungen, sondern nur der Erinnerung beobachteter Begebenheiten, wie sie gemeiniglich auf einander folgen, und wiederholte Erfahrungen bringen darin eine Fertigkeit hervor. Wie Wind und Wetter stehen werden, interessirt sehr den Schiffer und Ackersmann. Aber wir 10 reichen hierin mit unserer Vorhersagung nicht viel weiter, als der soge= nannte Bauerkalender, dessen Voraussagungen, wenn sie etwa eintreffen, gepriesen, treffen sie nicht ein, vergessen werden und so immer in einigem Credit bleiben. Man sollte fast glauben, die Vorsehung habe das Spiel der Witterungen absichtlich so undurchschaulich verflochten, damit es Men- 15 schen nicht so leicht wäre, für jede Zeit die dazu erforderlichen Anstalten zu treffen, sondern damit sie Verstand zu brauchen genöthigt würden, um auf alle Fälle bereit zu sein.

[ocr errors]

In den Tag hinein (ohne Vorsicht und Besorgniß) leben, macht zwar dem Verstande des Menschen eben nicht viel Ehre; wie dem Caraiben, 20 der des Morgens seine Hangmatte verkauft und des Abends darüber betreten ist, daß er nicht weiß, wie er des Nachts schlafen wird. Wenn aber dabei nur kein Verstoß wider die Moralität vorkommt, so kann man einen, der für alle Eräugnisse abgehärtet ist, wohl für glücklicher halten, als den, der sich immer nur mit trüben Aussichten die Lust am Leben verfümmert. 25 Unter allen Aussichten aber, die der Mensch nur haben kann, ist die wohl die tröstlichste, wenn er nach seinem gegenwärtigen moralischen Zustande Ursache hat, die Fortdauer und das fernere Fortschreiten zum noch Besseren im Prospect zu haben. Dagegen wenn er zwar muthig den Vorsatz faßt, von nun an einen neuen und besseren Lebenswandel einzuschlagen, sich 30 aber selbst sagen muß: es wird doch wohl nichts daraus werden, weil du öfters dieses Versprechen (durch Procrastination) dir gegeben, es aber immer unter dem Vorwande einer Ausnahme für dieses einzige Mal gebrochen hast: so ist das ein trostloser Zustand der Erwartung ähnlicher Fälle.

Wo es aber auf das Schicksal, was über uns schweben mag, nicht auf den Gebrauch unserer freien Willkür ankommt, da ist die Aussicht in

35

die Zukunft entweder Vorempfindung, d. i. Ahndung (praesensio), oder*) Vorhererwartung (praesagitio). Das erstere deutet gleichsam einen verborgenen Sinn für das an, was noch nicht gegenwärtig ist; das zweite ein durch Reflerion über das Gefeß der Folge der Begebenheiten nach einander 5 (das der Caufalität) erzeugtes Bewußtsein des Künftigen.

Man sieht leicht, daß alle Ahndung ein Hirngespenst sei; denn wie fann man empfinden, was noch nicht ist? Sind es aber Urtheile aus dunkelen Begriffen eines solchen Causalverhältnisses, so sind es nicht Vorempfindungen, sondern man kann die Begriffe, die dazu führen, entwickeln 10 und, wie es mit dem gedachten Urtheil zustehe, erklären. — Ahndungen find mehrentheils von der ängstlichen Art; die Bangigkeit, welche ihre physische Ursachen hat, geht vorher, unbestimmt was der Gegenstand der Furcht sei. Aber es giebt auch frohe und kühne Ahndungen von Schwärmern, welche die nahe Enthüllung eines Geheimnisses, für das der Mensch 15 doch keine Empfänglichkeit der Sinne hat, wittern und die Vorempfindung deffen, was sie als Epopten in mystischer Anschauung erwarten, so eben entschleiert zu sehen glauben. Der Bergschotten ihr zweites Gesicht, mit welchem etliche unter ihnen einen am Mastbaum Aufgeknüpften zu sehen glauben, von dessen Tode sie, wenn sie wirklich in den entfernten 20 Hafen eingelaufen sind, die Nachricht erhalten zu haben vorgeben, gehört auch in diese Classe der Bezauberungen.

25

30

C.

Von der Wahrsagergabe.

(Facultas divinatrix.)

§ 36. Vorhersagen, Wahrsagen und Weissagen sind darin unterschieden: daß das erstere ein Vorhersehen nach Erfahrungsgesehen (mithin natürlich), das zweite den bekannten Erfahrungsgesehen entgegen (widernatürlich), das dritte aber Eingebung einer von der Natur unterschiedenen Ursache (übernatürlich) ist, oder dafür gehalten wird, deren

*) Man hat neuerlich zwischen etwas Ahnen und Ahnden einen Unterschied machen wollen; allein das erstere ist kein deutsches Wort, und es bleibt nur das lettere. Ahnden bedeutet so viel als Gedenken. Es ahndet mir heißt: es schwebt etwas meiner Erinnerung dunkel vor; etwas ahnden bedeutet jemandes That ihm im Bösen gedenken (d. i. fie bestrafen). Es ist immer derselbe Begriff, 35 aber anders gewandt.

Fähigkeit, weil sie von dem Einflusse eines Gottes herzurühren scheint, auch das eigentliche Divinationsvermögen genannt wird (denn uneigentlich wird jede scharfsinnige Errathung des Künftigen auch Divination genannt).

[ocr errors]

Wenn es von jemanden heißt: er wahrsagt dieses oder jenes Schick- 5 sal, so kann dieses eine ganz natürliche Geschicklichkeit anzeigen. Von dem aber, der hierin eine übernatürliche Einsicht vorgiebt, muß es heißen: er wahrsagert; wie die Zigeuner von hinduischer Abstammung, die das Wahrsagen aus der Hand Planetenlesen nennen; oder die Astrologen und Schahgräber, denen sich auch die Goldmacher anschließen, über welche 10 alle im griechischen Alterthum die Pythia, zu unserer Zeit aber der lumpichte sibirische Schaman hervorragt. Die Wahrsagungen der Auspizen und Haruspizen der Römer hatten nicht sowohl die Entdeckung des Verborgenen im Laufe der Begebenheiten der Welt, als vielmehr des Willens der Götter, dem sie sich ihrer Religion gemäß zu fügen hatten, zur Ab- 15 sicht. Wie aber gar die Poeten dazu kamen, sich auch für begeistert (oder beseffen) und für wahrsagend (vates) zu halten, und in ihren dichterischen Anwandlungen (furor poeticus) Eingebungen zu haben sich be= rühmen konnten, kann nur dadurch erklärt werden: daß der Dichter nicht so wie der Prosenredner bestellte Arbeit mit Muße verfertigt, sondern den 20 günstigen Augenblick seiner ihn anwandelnden inneren Sinnenstimmung haschen muß, in welchem ihm lebendige und kräftige Bilder und Gefühle von selbst zuströmen, und er hiebei sich gleichsam nur leidend verhält; wie es denn auch schon eine alte Bemerkung ist, daß dem Genie eine gewisse Dosis von Tollheit beigemischt sei. Hierauf gründet sich auch der Glaube 23 an Orakelsprüche, die in den blind gewählten Stellen berühmter (gleichsam durch Eingebung getriebener) Dichter vermuthet wurden (sortes Virgilianae); ein dem Schatzkästlein der neueren Frömmler ähnliches Mittel, den Willen des Himmels zu entdecken; oder auch die Auslegung Sibyllinischer Bücher, die den Römern das Staatsschicksal vorherverkündigt haben sollen, 30 und deren sie, leider! durch übelangewandte Knickerei zum Theil verlustig geworden sind.

Alle Weissagungen, die ein unablenkbares Schicksal eines Volks vorherverkündigen, was doch von ihm selbst verschuldet, mithin durch seine freie Willkür herbeigeführt sein soll, haben außer dem, daß das Vorher= 35 wissen ihm unnüß ist, weil es ihm doch nicht entgehen kann, das Ungereimte an sich, daß in diesem unbedingten Verhängniß (decretum ab

solutum) ein Freiheitsmechanismus gedacht wird, wovon der Begriff sich selbst widerspricht.

Das Äußerste der Ungereimtheit, oder des Betrugs im Wahrsagern war wohl dies, daß ein Verrückter für einen Seher (unsichtbarer Dinge) 5 gehalten wurde; als ob aus ihm gleichsam ein Geist rede, der die Stelle der Seele, die so lange von der Behausung des Körpers Abschied genommen habe, vertrete; und daß der arme Seelenkranke (oder auch nur Epileptische) für einen Energumenen (Besessenen) galt, und er, wenn der ihn besigende Dämon für einen guten Geist gehalten wurde, bei den Griechen 10 ein Mantis, dessen Ausleger aber Prophet hieß. — Alle Thorheit mußte erschöpft werden, um das Künftige, dessen Voraussehung uns so sehr intereffirt, mit Überspringung aller Stufen, welche vermittelst des Verstandes durch Erfahrung dahin führen möchten, in unseren Besitz zu bringen. O, curas hominum!

15

Es giebt sonst keine so sichere und doch in so große Weite hinaus erstreckte Wahrsagungswissenschaft, als die der Astronomie, welche die Umwälzungen der Himmelskörper ins Unendliche vorherverkündigt. Aber das hat doch nicht hindern können, daß sich nicht bald eine Mystik hinzugesellt hat, welche nicht etwa, wie die Vernunft es verlangt, die Zahlen 20 der Weltepochen von den Begebenheiten, sondern umgekehrt die Begebenheiten von gewissen heiligen Zahlen abhängig machen wollte und so die Chronologie selbst, eine so nothwendige Bedingung aller Geschichte, in eine Fabel verwandelte.

25

25

Von der unwillkürlichen Dichtung im gesunden Zustande, d. i. vom Traume.

§ 37. Was Schlaf, was Traum, was Somnambulism (wozu auch das laute Sprechen im Schlaf gehört) seiner Naturbeschaffenheit nach sei, zu erforschen, ist außerhalb dem Felde einer pragmatischen Anthropologie gelegen; denn man kann aus diesem Phänomen keine Regeln des 30 Verhaltens im Zustande des Träumens ziehen; indem diese nur für den Wachenden gelten, der nicht träumen oder gedankenlos schlafen will. Und das Urtheil jenes griechischen Kaisers, der einen Menschen, welcher seinen Traum, er habe den Kaiser umgebracht, seinen Freunden erzählte, zum Tode verurtheilte unter dem Vorwand, „es würde ihm nicht geträumt 35 haben, wenn er nicht im Wachen damit umgegangen wäre", ist der

Erfahrung zuwider und grausam. „Wenn wir wachen, so haben wir eine gemeinschaftliche Welt; schlafen wir aber, so hat ein jeder seine eigene." Das Träumen scheint zum Schlafen so nothwendig zu gehören, daß Schlafen und Sterben einerlei sein würde, wenn der Traum nicht als eine natürliche, obzwar unwillkürliche Agitation der inneren Lebensorgane 5 durch die Einbildungskraft hinzukäme. So erinnere ich mich sehr wohl, wie ich als Knabe, wenn ich mich, durch Spiele ermüdet, zum Schlafe hinlegte, im Augenblick des Einschlafens durch einen Traum, als ob ich ins Wasser gefallen wäre und, dem Versinken nahe, im Kreise herumgedreht würde, schnell erwachte, um aber bald wieder und ruhiger einzu= 10 schlafen, vermuthlich weil die Thätigkeit der Brustmuskeln im Athemholen, welches von der Willkür gänzlich abhängt, nachläßt, und so mit der Ausbleibung des Athemholens die Bewegung des Herzens gehemmt, dadurch aber die Einbildungskraft des Traums wieder ins Spiel versezt werden muß. Dahin gehört auch die wohlthätige Wirkung des Traums beim 15 sogenannten Alpdrücken (incubus). Denn ohne diese fürchterliche Einbildung von einem uns drückenden Gespenst und der Anstrengung aller Muskelkraft sich in eine andere Lage zu bringen würde der Stillstand des Bluts dem Leben geschwind ein Ende machen. Eben darum scheint die Natur es so eingerichtet zu haben, daß bei weitem die mehrsten Träume 20 Beschwerlichkeiten und gefahrvolle Umstände enthalten: weil dergleichen Vorstellungen die Kräfte der Seele mehr aufreizen, als wenn alles nach Wunsch und Willen geht. Man träumt oft, sich nicht auf seine Füße erheben zu können, oder sich zu verirren, in einer Predigt stecken zu bleiben, oder aus Vergessenheit statt der Perrücke in großer Versammlung eine 25 Nachtmüße auf dem Kopfe zu haben, oder daß man in der Luft nach Be= lieben hin und her schweben könne, oder im fröhlichen Lachen, ohne zu wissen, warum, aufwache. Wie es zugehe, daß wir oft im Traume in die längst vergangene Zeit versezt werden, mit längst Verstorbenen sprechen, dieses selbst für einen Traum zu halten versucht werden, aber doch diese 30 Einbildung für Wirklichkeit zu halten uns genöthigt sehen, wird wohl immer unerklärt bleiben. Man kann aber wohl für sicher annehmen, daß kein Schlaf ohne Traum sein könne, und wer nicht geträumt zu haben wähnt, seinen Traum nur vergessen habe.

« AnteriorContinuar »