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etwas Unerhörtes habe an sich selbst viel Anlockendes für den Schwachen: nicht blos weil ihm auf einmal neue Aussichten eröffnet werden, sondern weil er dadurch von dem ihm lästigen Gebrauch der Vernunft losgesprochen zu sein, dagegen Andere in der Unwissenheit sich gleich zu machen 5 verleitet wird.

Von dem erlaubten moralischen Schein.

§ 14. Die Menschen sind insgesammt, je civilisirter, desto mehr Schauspieler; sie nehmen den Schein der Zuneigung, der Achtung vor Anderen, der Sittsamkeit, der Uneigennüßigkeit an, ohne irgend jemand dadurch zu 10 betrügen, weil ein jeder Andere, daß es hiemit eben nicht herzlich gemeint sei, dabei einverständigt ist, und es ist auch sehr gut, daß es so in der Welt zugeht. Denn dadurch, daß Menschen diese Rolle spielen, werden zulezt die Tugenden, deren Schein sie eine geraume Zeit hindurch nur gefünftelt haben, nach und nach wohl wirklich erweckt und gehen in die 15 Gesinnung über. Aber den Betrüger in uns selbst, die Neigung, zu betrügen, ist wiederum Rückkehr zum Gehorsam unter das Gesetz der Tugend und nicht Betrug, sondern schuldlose Täuschung unserer selbst.

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So ist die Anekelung seiner eigenen Eristenz aus der Leerheit des Gemüths an Empfindungen, zu denen es unaufhörlich strebt, der langen 20 Weile, wobei man doch zugleich ein Gewicht der Trägheit fühlt, d. i. des Überdrusses an aller Beschäftigung, die Arbeit heißen und jenen Ekel vertreiben könnte, weil sie mit Beschwerden verbunden ist, ein höchst widriges Gefühl, dessen Ursache keine andere ist, als die natürliche Neigung zur Gemächlichkeit (einer Ruhe, vor der keine Ermüdung vorhergeht). 25 Diese Neigung ist aber betrügerisch, selbst in Ansehung der Zwecke, welche

ich versichere Euch auf meine priesterliche Ehre, daß dieses Weib eine Here ist;" worauf der letztere erwiederte: „Und ich versichere Euch auf meine richterliche Ehre, daß Ihr kein Herenmeister seid." Das jetzt deutsch gewordene Wort Here kommt von den Anfangsworten der Meßformel bei Einweihung der Hostie her, welche der 30 Gläubige mit leiblichen Augen als eine kleine Scheibe Brod sieht, nach Aussprechung derselben aber mit geistigen Augen als den Leib eines Menschen zu sehen verbunden wird. Denn die Wörter hoc est haben zuerst das Wort corpus hinzugethan, wo hoc est corpus sprechen in hocus pocus machen verändert wurde, vermuthlich aus frommer Scheu den rechten Namen zu nennen und zu profaniren; wie es Aber35 gläubische bei unnatürlichen Gegenständen zu thun pflegen, um sich daran nicht zu vergreifen.

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die Vernunft dem Menschen zum Geseß macht, um mit sich selbst zufrieden zu sein, wenn er gar nichts thut (zwecklos vegetirt), weil er da doch nichts Böses thut. Sie also wieder zu betrügen (welches durch das Spiel mit schönen Künsten, am meisten aber durch gesellige Unterhaltung geschehen kann), heißt die Zeit vertreiben (tempus fallere); wo der 5 Ausdruck schon die Absicht andeutet, nämlich die Neigung zur geschäftlosen Nuhe selbst zu betrügen, wenn durch schöne Künste das Gemüth spielend unterhalten, ja auch nur durch ein bloßes, an sich zweckloses Spiel in einem friedlichen Kampfe wenigstens Cultur des Gemüths bewirkt wird; widrigenfalls es heißen würde, die Zeit tödten. Mit Gewalt ist 10 wider die Sinnlichkeit in den Neigungen nichts ausgerichtet; man muß sie überlisten und, wie Swift sagt, dem Wallfisch eine Tonne zum Spiel hingeben, um das Schiff zu retten.

Die Natur hat den Hang, sich gerne täuschen zu lassen, dem Menschen weislich eingepflanzt, selbst um die Tugend zu retten, oder doch zu ihr 15 hinzuleiten. Der gute, ehrbare Anstand ist ein äußerer Schein, der andern Achtung einflößt (sich nicht gemein zu machen). Zwar würde das Frauenzimmer damit schlecht zufrieden sein, wenn das männliche Geschlecht ihren Reizen nicht zu huldigen schiene. Aber Sittsamkeit (pudicitia), ein Selbstzwang, der die Leidenschaft versteckt, ist doch als Illusion 20 sehr heilsam, um zwischen einem und dem anderen Geschlecht den Abstand zu bewirken, der nöthig ist, um nicht das eine zum bloßen Werkzeuge des Genusses des anderen abzuwürdigen. Überhaupt ist Alles, was man Wohlanständigkeit (decorum) nennt, von derselben Art, nämlich nichts als schöner Schein.

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Höflichkeit (Politesse) ist ein Schein der Herablassung, der Liebe einflößt. Die Verbeugungen (Complimente) und die ganze höfische Galanterie sammt den heißesten Freundschaftsversicherungen mit Worten find zwar nicht eben immer Wahrheit (Meine lieben Freunde: es giebt keinen Freund! Aristoteles), aber sie betrügen darum doch auch 30 nicht, weil ein jeder weiß, wofür er sie nehmen soll, und dann vornehm= lich darum, weil diese anfänglich leeren Zeichen des Wohlwollens und der Achtung nach und nach zu wirklichen Gesinnungen dieser Art hinleiten.

Alle menschliche Tugend im Verkehr ist Scheidemünze; ein Kind ist der, welcher sie für ächtes Gold nimmt. Es ist doch aber besser, Scheide- 35 münze, als gar kein solches Mittel im Umlauf zu haben, und endlich kann es doch, wenn gleich mit ansehnlichem Verlust, in baares Gold umgesetzt

werden. Sie für lauter Spielmarken, die gar keinen Werth haben, auszugeben, mit dem sarkastischen Swift zu sagen: „Die Ehrlichkeit ist ein Paar Schuhe, die im Kothe ausgetreten worden" u. s. w. oder mit dem Prediger Hofstede in seinem Angriff auf Marmontels Belisar 5 selbst einen Sokrates zu verleumden, um ja zu verhindern, daß irgend jemand an die Tugend glaube, ist ein an der Menschheit verübter Hochverrath. Selbst der Schein des Guten an Anderen muß uns werth sein: weil aus diesem Spiel mit Verstellungen, welche Achtung erwerben, ohne fie vielleicht zu verdienen, endlich wohl Ernst werden kann. Nur der 10 Schein des Guten in uns selbst muß ohne Verschonen weggewischt und der Schleier, womit die Eigenliebe unsere moralischen Gebrechen verdeckt, abgerissen werden: weil der Schein da betrügt, wo man durch das, was ohne allen moralischen Gehalt ist, die Tilgung seiner Schuld, oder gar in Wegwerfung desselben die überredung nichts schuldig zu sein sich vor15 spiegelt, z. B. wenn die Bereuung der Übelthaten am Ende des Lebens für wirkliche Besserung, oder vorseßliche Übertretung als menschliche Schwachheit vorgemalt wird.

Von den fünf Sinnen.

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§ 15. Die Sinnlichkeit im Erkenntnißvermögen (das Vermögen 20 der Vorstellungen in der Anschauung) enthält zwei Stücke: den Sinn und die Einbildungskraft. Das erstere ist das Vermögen der Anschauung in der Gegenwart des Gegenstandes, das zweite auch ohne die Gegenwart desselben. Die Sinne aber werden wiederum in die äußeren und den inneren Sinn (sensus internus) eingetheilt; der erstere ist 25 der, wo der menschliche Körper durch körperliche Dinge, der zweite, wo er durchs Gemüth afficirt wird; wobei zu merken ist, daß der lettere als bloßes Wahrnehmungsvermögen (der empirischen Anschauung) vom Gefühl der Lust und Unlust, d. i. der Empfänglichkeit des Subjects, durch gewisse Vorstellungen zur Erhaltung oder Abwehrung des Zustandes dieser 30 Vorstellungen bestimmt zu werden, verschieden gedacht wird, den man den inwendigen Sinn (sensus interior) nennen könnte. — Eine Vorstellung durch den Sinn, deren man sich als einer solchen bewußt ist, heißt beson= ders Sensation, wenn die Empfindung zugleich Aufmerksamkeit auf den Zustand des Subjects erregt.

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§ 16. Man kann zuerst die Sinne der Körperempfindung in den der

Vitalempfindung (sensus vagus) und die der Organempfindung (sensus fixus) und, da sie insgesammt nur da, wo Nerven sind, angetroffen werden, in diejenigen eintheilen, welche das ganze System der Nerven, oder nur den zu einem gewissen Gliede des Körpers gehörenden Nerven afficiren. Die Empfindung der Wärme und Kälte, selbst die, welche 5 durchs Gemüth erregt wird (z. B. durch schnell wachsende Hoffnung oder Furcht), gehört zum Vitalsinn. Der Schauer, der den Menschen selbst bei der Vorstellung des Erhabenen überläuft, und das Gräufeln, womit Ammenmährchen in später Abendzeit die Kinder zu Bette jagen, find von der letzteren Art; sie durchdringen den Körper, so weit als in ihm 10 Leben ist.

Der Organsinne aber können füglich nicht mehr oder weniger als fünf aufgezählt werden, so fern sie sich auf äußere Empfindung beziehen.

Drei derselben aber sind mehr objectiv als subjectiv, d. i. sie tragen als empirische Anschauung mehr zur Erkenntniß des äußeren Gegen 15 standes bei, als sie das Bewußtsein des afficirten Organs rege machen; zwei aber sind mehr subjectiv als objectiv, d. i. die Vorstellung durch dieselbe ist mehr die des Genusses, als der Erkenntniß des äußeren Gegenstandes; daher über die erstere man sich mit Anderen leicht einverständigen kann, in Ansehung der letzteren aber bei einerlei äußerer empirischer An= 20 schauung und Benennung des Gegenstandes die Art, wie das Subject sich von ihm afficirt fühlt, ganz verschieden sein kann.

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Die Sinne von der ersteren Classe find 1) der der Betastung (tactus), 2) des Gesichts (visus), 3) des Gehörs (auditus). Von der zweiten a) des Geschmacks (gustus), b) des Geruchs (olfactus); insge= 25 sammt lauter Sinne der Organempfindung, gleichsam so vieler äußerer, von der Natur für das Thier zum Unterscheiden der Gegenstände zubereiteten Eingänge.

Vom Sinne der Betastung.

§ 17. Der Sinn der Betastung liegt in den Fingerspißen und den 30 Nervenwärzchen (papillae) derselben, um durch die Berührung der Oberfläche eines festen Körpers die Gestalt desselben zu erkundigen. Die Natur scheint allein dem Menschen dieses Organ angewiesen zu haben, damit er durch Betastung von allen Seiten sich einen Begriff von der Gestalt eines Körpers machen könne; denn die Fühlhörner der Insecten 35

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scheinen nur die Gegenwart desselben, nicht die Erkundigung der Gestalt zur Absicht zu haben. — Dieser Sinn ist auch der einzige von unmittel= barer äußerer Wahrnehmung; eben darum auch der wichtigste und am sichersten belehrende, dennoch aber der gröbste: weil die Materie fest sein 5 muß, von deren Oberfläche der Gestalt nach wir durch Berührung belehrt werden sollen. (Von der Vitalempfindung, ob die Oberfläche sanft oder unsanft, viel weniger noch, ob sie warm oder kalt anzufühlen sei, ist hier nicht die Rede.) Ohne diesen Organsinn würden wir uns von einer körperlichen Gestalt gar keinen Begriff machen können, auf deren Wahr10 nehmung also die beiden andern Sinne der erstern Classe ursprünglich bezogen werden müssen, um Erfahrungserkenntniß zu verschaffen.

Vom Gehör.

§ 18. Der Sinn des Gehörs ist einer der Sinne von blos mittelbarer Wahrnehmung. Durch die Luft, die uns umgiebt, und vermit15 telst derselben wird ein entfernter Gegenstand in großem Umfange erkannt, und durch eben dieses Mittel, welches durch das Stimmorgan, den Mund, in Bewegung gesezt wird, können sich Menschen am leichtesten und vollständigsten mit andern in Gemeinschaft der Gedanken und Empfindungen bringen, vornehmlich wenn die Laute, die jeder den anderen hören läßt, 20 articulirt sind und in ihrer gefeßlichen Verbindung durch den Verstand eine Sprache ausmachen. - Die Gestalt des Gegenstandes wird durchs Gehör nicht gegeben, und die Sprachlaute führen nicht unmittelbar zur Vorstellung desselben, sind aber eben darum, und weil sie an sich nichts, wenigstens keine Objecte, sondern allenfalls nur innere Gefühle bedeuten, 25 die geschicktesten Mittel der Bezeichnung der Begriffe, und Taubgeborne, die eben darum auch stumm (ohne Sprache) bleiben müssen, können nie zu etwas mehrerem, als einem Analogon der Vernunft gelangen.

Was aber den Vitalfinn betrifft, so wird dieser durch Musik, als ein regelmäßiges Spiel von Empfindungen des Gehörs, unbeschreiblich 30 lebhaft und mannigfaltig nicht blos bewegt, sondern auch gestärkt, welche also gleichsam eine Sprache bloßer Empfindungen (ohne alle Begriffe) ist. Die Laute sind hier Töne und dasjenige fürs Gehör, was die Farben fürs Gesicht sind; eine Mittheilung der Gefühle in die Ferne in einem Raume umher an alle, die sich darin befinden, und ein gesellschaftlicher 35 Genuß, der dadurch nicht vermindert wird, daß viele an ihm theilnehmen.

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