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Sechste Vorlesung.

Allgemeine Mittel, zur Tugend zu gelangen und sie zu vermehren.

Erste und zweyte Regel.

Alle Tugend, wie wir in der vorhergehenden Vora

Lesung erinnert haben, fehet eine gewisse Ueberwindung voraus, wir mögen sie von der Seite des Verstandes, oder des Herzens betrachten. Sie fehet Kenntnisse und Einsichten des Verstandes vorz aus, welche Mühe und Aufmerksamkeit fordern. Sie verlanget Aufrichtigkeit des Herzens, diese Einsichten arzunehmen, und Entschließung und Lust, Ihnen zu gehorchen. Unser Wille aber gehorchet nicht leicht, wenn ihn der Verstand nicht überzeugt; und unfre Ueberzeugung von unsrer Schuldigkeit wird unkråftig, wenn wir sie nicht oft erneuern. Wir müssen ferner unsern Verstand gebrauchen, nicht allein um die Pflicht des Menschen überhaupt kennen zu lernen, sondern auch um die allgemeine Regel des

Guten und Rechtschaffnen auf die besondern Fälle unsers Lebens überall anzuwenden. Unser ganzer Wandel muß Tugend oder Gehorsam gegen unsre Pflicht seyn, wenn es gewiß ist, daß in der Tugend unser Glück besteht. Also gehört eine forts gefeste Aufmerksamkeit des Verstandes zur Tugend. Gleichwohl sind Sorglosigkeit und Unachts samkeit gewöhnliche Fehler des Menschen, die ihn entweder in der Unwissenheit schlummern lassen, oder die ihn blenden, an der Seite der Wahrheit Frrs thümer und gefährliche Einbildungen zu dulden. Der Mensch, muß also der Tugend kostbare und mühsamė Opfer des Verstandes bringen. Traurige Wahrheit! Aber dieser Dienst wird leichter, je öfter wir ihn leisten; er wird selbst durch die Ausübung angenehm. Erfreuliche Wahrheit!

Unser Herz, oder unser Willes hat Neigungen, Begierden und Wünsche, die oft der Tugend ganz zuwider sind, und, unterdrückt werden müssen; ans bre, welche von dem Verstande regieret, gemäßiger nd geordnet werden müssen. Die meisten sind ein Theil von uns selbst, sind von unsrer. Eigenliebe, unserm Stolze, dem Eigennuße und den unrichtigen Meynungen von dem, was wir für Glück oder Elend halten, erzeugt. Wie schwer werden diese Bez gierden zu bezwingen seyn! Sie sterben nach allen Siegen, die wir über sie erhalten, nie ganz aus, werden durch tausend Gegenstände der Sinne und der schaffenden Einbildungskraft wieder erreget, undi wachsen durch die Befriedigung zu herrschenden Gest wohnheiten und zu stürmischen Leidenschaften an, die uns die Freyheit rauben, dem Lichte des Verstandes zu folgen, oder, die diefes Licht verdunkeln,'

damit es nicht leuchte. Die Kraft der schlimmern Beyspiele (und wer kann leugnen, daß die meisten Menschen schlimme Beyspiele geben?) gefellet sich zu dem Gewichte der natürlichen Neigungen und ents kräftet die Regel des Guten. Der Mensch mus also von der Seite des Herzens der Tugend kostbare und oft mühsame Opfer bringen; feine Sinnlichkeit, feine Trägheit zur Pflicht, oft seine liebsten Neiguns gen und das Vergnügen, das ihre Befriedigung vers spricht, ihr aufopfern. Er muß der Gewalt der Sinne und der Kraft des Beyspiels widerstehen, das uns natürlicher Weise zur Nachahmung reizet. Er muß über sich selbst herrschen und der strenge Handa haber der Geseze seyn. Schwere Herrschaft! Aber diese Herrschaft wird durch die Ausübung leichter, und verwandelt sich immer mehr und mehr in Freude und Ruhe. Großer Trost eines Herzens, das der Tugend aufrichtig nachstrebt!

Wie gelangen wir also unter Anleitung der Vernunft dahin, daß wir unsre Pflichten willig und standhaft ausüben, und die Hindernisse über winden lernen, die sich ihr in uns selbst, oder von. außen, widersehen? Wie bekommen wir Luft und. Kraft zur Tugend, einen Geschmack an ihren Rei», zungen, und einen Abscheu vor den falschen Süßig keiten des Lasters? Niemand zweifelt, daß man die Tugend beständig fortsehen müsse; gleichwohl sind. wir nicht immer geneigt dazu. Eine oder etliche. gefeßmåßige, gute Handlungen sind nicht der tugends, hafte Charakter selbst. Nein, dieser Charakter ist. der beständige, lebendige, thätige Vors, satz, stets gut und fromm zu seyn, und. es immer mehr zu werden. Wie gelangen,

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wir zu dieser überwiegenden Geneigtheit der Seele, zur Rechtschaffenheit ?

Die Vernunft schlägt uns allgemeine Mittel vor, die sich auf die moralische Natur der Menschen und auf die Natur der Tugend gründen. Von die= sen wollen wir reden. Sind sie richtige Folgen aus den Grundsäßen der Vernunft, und Stimmen des Gewissens: so sind es göttliche Mittel, die wir anzuwenden verbunden sind, wenn es uns ein Ernst um Tugend und Glückseligkeit ist. Die vorm nehmsten dieser Mittel von der Seite des Verstan des und des Herzens sind folgende: erstlich eine ,,deutliche, überzeugende und vollständige Kenntniß „unfrer Pflichten, die wir immer fortsehen, erneuern ,,und vor Irrthümern bewahren, auf das Leben und „die Ausübung anwenden und mit einer beständigen

Prüfung unsers Herzens und Wandels verbinden ,,müssen: das Andenken an Gott, oder die sorgfål= tige Betrachtung seiner Eigenschaften und Vollkom= ,,menheiten, welche der größte Antrieb zur Tugend sind (diese Betrachtung ist eine Anleitung zum Ge bete, oder schon selbst ein Schritt dazu): die Kennt ,,niß unsrer selbst, und der Menschen, mit denen ,,wir umgeben sind: die sorgfältige Betrachtung der „Welt, in der wir leben, der Absicht, zu der wir ,,leben, und der Ewigkeit, in die wir durch dieses ,,Leben eingehen: die öftere Erweckung des Gewis,,fens oder moralischen Gefühls, das ist, der natür,,lichen Empfindung von der Schönheit des Guten ,,und dem Schrecklichen des Lasters: der Umgang ,,mit tugendhaften Personen, und das Lesen guter ,,Schriften für den Verstand und für das Herz: endlich die forgfältige und aufrichtige Untersuchung

,,und

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