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VI.

Deutsche Briefe.

Gellert.

3u einer Zeit, wo der deutsche Geschmack in Briefen noch fehr unbestimmt und im Aufkeimen war, machte sich Gellert um die schnellere Fortbildung und Beförderung desselben durch die Bekanntmachung seiner Briefe, nebßt einer praktischen Ab: handlung von dem guten Geschmacke in Briefen, nicht wenig verdient. Seine Abficht war, junge Leute, und besonders Pers Asonen des andern Geschlechts, zu einer natürlichen Schreibart ju ermuntern, und andern, wo möglich, das Vorurtheil zu bes nehmen, als ob unsre Sprache zu den Gedanken der Höflichkeit, des Wohlktandes, des Scherzes, und zu andern zarten Empfins dungen, nicht biegsam und geschmeidig genug sen. Er wählte dazu mit Recht solche Briefe, die wirklich, und ohne Absicht Sffentlicher Bekanntmachung, geschrieben waren; und die Mans nichfaltigkeit ihres Inhalts und Tons, verbunden mit Leichtigs keit und Korrektheit der Schreibart, erwarben dieser Sammlung großen Beifall, und beförderten den rühmlichen Endzweck ihrer Herausgabe sehr merklich. Zwar sind diese Briefe, die man ims mer in Rücksicht auf die damalige Lage unsers Geschmacks und Stols beurtheilen muß, nicht alle von gleichem Weeth; der fols gende gehört aber wohl gewiß zu den bessern.

Madam!

as Landleben muß doch nicht für alles helfen. Ich bin seit vierzehn Tagen ein rechter Heavtontimorumenos. Las sen Sie mich immer ein Wort brauchen, das Sie nicht

ber's

Der

verstehen, und das ich Ihnen vielleicht selbst nicht erklären kann. Es schickt sich dem Klange nach gar zu gut zu meis nem Charakter. Lesen Sie nur das Wort noch einmal. Es hat so was schwerfälliges und verdrießliches bei sich, daß ichs nicht für vieles Geld gegen ein andres vertauschen würde. Sanz gewiß muß es einen unzufriednen und mürrischen Menschen bedeuten, mein Herz sagt mirs; und wenn es auch was anders bedeuten sollte: so will ich doch durchaus, daß es einen Unzufriednen bedeuten soll. bin ich, Madam! Ein vollkommner Heavtontimorumenoš bin ich seit vierzehn Tagen. Aber warum? Weil ichs bin; weiter weiß ich Ihnen nichts zu sagen. Ich bin viel zu verdrießlich, als daß ich nachsinnen sollte, woher mein Verdruß kåme; und wie könnte ich auch ungestört verdrießlich seyn, wenn ich lange nachsinnen wollte? Ich habe die schönste Gegend vor mir, und ich nehme mich sehr in Acht, daß sie mich nicht rührt. Ich sehe sie an, und denke nicht auf das, was ich sehe, sondern daran, daß ich nicht zufrieden bin. Ich habe gute Bücher um mich herumliegen. Ich möchte dieses, ich möchte auch jenes lesen, ich möchte sie alle lesen. Ich berathschlage, welches ich , lesen will, und nach langen Berathschlagungen nehme ich ein anders, als ich gewählt habe. Ich lese, und fühle nichts, und werfe es weg. Ganz gewiß sind meine Büs cher zu lichte für mich. Die Gedanken sollten dunkel, die Sprache sollte ångstlich seyn; dann würde ich lesen. Sax Jen Sie mir nur, Madam, ob ich etwa krank bin? Wenn

es doch der Himmel wollte! Denn, wenn ich nicht krank seyn sollte: so müßte ich beinahe närrisch seyn, und das mag ich doch, ungeachtet meines Hasses gegen mich selbst, nicht seyn. In den ersten Wochen konnte ich mich an den mannichfaltigen. Scenen dieser Gegend nicht satt sehen. Ich flog von der Stube, um im Freien, durch Berg und Thal, durch Fluren und Gebüsche, zu irren; und wenn ich müde war, die Gemåhlde der Natur zu sehen:

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fo ruhte ich in den vortrefflichen Bildergallerien des Herrn des Dorfs aus. Jest komme ich nicht weiter, als von dem Pfarrhause auf den Kirchhof. Ich besehe die Leichensteine, die hölzernen Kreuze, und ruhe nicht, bis ich einen halbverloschnen Namen herausgebracht habe. Wenn ich auf den Denkmalen die Worte finde: er starb alt und lebenssatt; so bewegt sich mein ganzes Herz. Ich fühle es alsdann recht eigentlich, daß ich des Lebens måde bin, aber vielleicht in keinem bessern Verstande, als ich es einmal in meinem siebenten oder achten Jahre war. Ich weiß nicht, was mir für ein kindischer Wunsch damals fehl geschlagen seyn mochte. Genug, ich warf mich unter einen Baum im Garten, und bat den Tod recht instän dig, daß er mich gen Himmel holen sollte; so verhaßt war mir die Welt. Kurz, Madam, wenn mir der Pfarrer den Kirchhof verschließen läßt, so weiß ich vor Angst nicht mehr, was ich anfangen soll. Aber warum kommen Sie nicht wieder in die Stadt, wenn Sie auf dem Lande so unzufrieden sind? Das weiß ich auch nicht, Madam. Ich glaube, ich warte darauf, daß Sie mich bitten sollen. Und wenn Sie mich bitten werden: so werden Sie mich nach meinen Gedanken nicht inständig, nicht herzlich genug gebeten haben, und da werde ich wies der aus Rache nicht zurück reisen wollen. Jeht läßt mir mein Wirth die Scheere und das Federmesser sehr höflich abfordern. Merken Sie diese List nicht? : :: Aber wer hat denn gesagt, daß ich schwermüthig bin? Nein, unzufrieden bin ich nur, nicht bei mir selber, dieß ist es alles; und deswegen läßt man mir das Federmesser abs fordern? Sagen Sies, auf Ihr Gewissen, meine Freun din, können Sie aus meinem ganzen Briefe etwas an ders schließen, als daß ich mürrisch bin, daß ich selbst nicht weiß, was ich will, und wenn es hoch kömmt, daß ich hypochondrisch bin. Gut, ich bin es für mich, was kann denn das meinen Wirth verschlagen? Man låfst ja

einem jeden das Recht, lustig zu seyn, und mir will man die traurige Freiheit nehmen, niedergeschlagen zu seyn? Das ist artig! Sie sind

Madam, Sie wehren mirs nicht.

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mehr meine Unzufriedenheit klagen.

tausendmal billiger,

Sie lassen Sich viels

Dieses sehe ich als

die größte Wohlthat an, und küsse. Ihnen die Hand das Für, und bin Zeitlebens dafür Ihr ic.

Beifp. Samml. 8. Bd. 1. Abth;

****Rabe

Rabene r.

Nicht lange nach seinem Tode wurde eine schäßbare Samms Jung feiner Briefe, begleitet mit Nachrichten von seinen Lebenss umständen und Schriften, durch Hrn. Weiße veranstaltet, bie man auch in der Folge mit in die vollständigere Sammlung seis ner sämmtlichen Schriften aufnahm. Diese Briefe, fast ihr Herausgeber, find alle wirklich von ihm geschrieben, und gar nicht geändert worden. Er dachte noch nicht daran, als er fie fchrieb, daß fie jemals follten gedruckt werden; und die Leser fehen ihn darin wirklich so, wie er sich seinen vertrauteßten Freuns den zeigte. Alles ist in diesen Briefen Wahrheit und Nas Wer bewundert aufferdem nicht in dem folgenden, und in mehrern von gleicher Veranlaffung, den in dem Sturm der schwersten Unfälle gesezten und heitern Mann?

tur."

Liebster Gellert!

Dresden, am 9. August 1760.

Aus meinem Briefe an den Herrn Commissionsrath, den

ich Herrn W... vor etlichen Tagen zugestellt, werden Sie einige Nachricht von meinem traurigen Schicksal ersehen haben. Erlauben Sie mir, daß ich mich auch mit Ihnen davon unterhalte, denn ich finde eine große Beruhigung darinnen, wenn ich einem so lieben Freunde, wie Sie sind, mein Unglück klagen kann. Was die Umstände dieser Bes lagerung überhaupt betrifft, so werde ich mich dabei wes nig aufhalten, und mich auf ein Diarium beziehen, welches unter der Autorität unsers Gouverneurs heute herausgekommen und sehr zuverlässig ist; nur von meinen eiges nen Zufällen will ich etwas melden. Am 14ten Jul. mit Anbruche des Tages fieng sich die Kanonade und das Eins werfen der Haubißgranaden auf die schrecklichste Art an. Früh um ache Uhr kam eine solche Granade in mein Zim

mer,

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